Unternehmen, die im Rahmen der Neukundengewinnung ihr volles Potential ausschöpfen wollen, kommen dabei nicht an einem Ansatz vorbei, der in Deutschland immer noch zu wenig Beachtung findet: Marketing und Sales Alignment. Dabei handelt es sich um eine Strategie, bei der beide Unternehmensbereiche sämtliche Instrumente, Maßnahmen und Botschaften im Zuge der Lead-Generierung und Neukundengewinnung konsequent aufeinander abstimmen.
Indem Marketing und Vertrieb sich auf eine gemeinsame Linie ausrichten, schaffen sie die Basis dafür, eine optimale Customer Experience für potenzielle Kunden zu gewährleisten. Ihre Ziele – die letztendlich identisch sind – können Marketing und Sales auf diesem Weg am besten erreichen. Warum das so ist und welche Fragen wir mit Kunden diesbezüglich regelmäßig diskutieren, schauen wir uns in diesem Beitrag genauer an.
Welche Probleme nimmt Marketing und Sales Alignment in Angriff?
In den meisten Organisationen ist die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb nicht ideal. Obwohl beide eng am Kunden arbeiten, um den Umsatz des Unternehmens zu steigern, tauschen sie sich kaum und sehr oberflächlich über ihre Maßnahmen und Erkenntnisse aus. Das führt auf Kundenseite auffällig oft zu Verwirrung und Frust.
Zugleich ist die Beziehung zwischen beiden Bereichen von Schuldzuweisungen geprägt, die die Atmosphäre im Unternehmen verschlechtern. Der Vertrieb kritisiert – häufig pauschal – die Qualität der gelieferten Leads und behauptet, damit nicht arbeiten zu können. Das Marketing beschwert sich, dass die Qualität viel besser sei als behauptet und der Vertrieb unfähig wäre, aus den Leads mehr rauszuholen. Das war übrigens auch schon zu Zeiten so, als Leads per Mailings oder Messen gewonnen wurden. Die Konflikte begannen also nicht erst mit der Lead-Generierung.
Schlechte Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb wirkt sich früher oder später auf die Effektivität beider Abteilungen aus. Das liegt daran, dass beide Seiten potenzielle Kunden mit unterschiedlichen Maßnahmen, Argumenten und Botschaften bearbeiten. Das ist kontraproduktiv, denn dem Kunden ist es egal, ob die Kommunikation vom Marketing oder vom Sales gestaltet wurde.
Beispielsweise will kein Kunde nach einem Telefonat mit einem Vertriebsmitarbeiter auf die Webseite des Anbieters kommen und sich fragen, ob er gerade wirklich mit jemandem von diesem Unternehmen gesprochen hat. Genauso wenig Sinn ergibt es, wenn Leads, die das Marketing gerade erst generiert hat, vom Sales (unwissentlich) offensiv angegangen werden, bevor sie für ein Verkaufsgespräch bereit sind.
Die Customer Experience macht häufig den Unterschied
Ungenügende Abstimmung zwischen Marketing und Vertrieb sorgt dafür, dass Unternehmen sehr viel Geld auf der Straße lassen. Das kann man sich jenseits von Zahlen sehr leicht klar machen: Wer sich vom Wettbewerb differenzieren will, kann dafür in B2B-Unternehmen drei Stellhebel bedienen: Den Preis, die Qualität bzw. Funktionalitäten des Produkts sowie die Kundenbeziehungen oder die Customer Experience beim Kauf und darüber hinaus.
Wenn man nicht der billigste Anbieter sein will, ist eine Differenzierung via Preis nicht empfehlenswert. Zumal Wettbewerber Preisvorteile in der Regel relativ schnell einholen. Gleiches gilt für Funktionen oder Qualität. Auch hier können Sie keinen stabilen Wettbewerbsvorsprung erarbeiten. Schließlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Ihre Konkurrenten aufholen bzw. die Vorteile Ihres Angebots kopieren.
Anders verhält es sich bei den Kundenbeziehungen. Wer den Kunden aus Marketing und Sales heraus am besten bedient, hat größere Chancen, sich durchzusetzen. Denn am Ende geben bei der Anbieterauswahl häufig Kleinigkeiten den Ausschlag.
Warum kommunizieren Marketing und Sales überhaupt auf unterschiedliche Weise?
Meines Erachtens fehlt vor allem ein gemeinsames Verständnis über die Kunden und deren Entscheidungsprozesse. Wenn sich Marketing und Sales hierüber einig sind, kann eine fruchtbare Zusammenarbeit beginnen. Dabei gibt es zwei Herausforderungen:
- Einerseits hat das Marketing wenig bis keinen Kontakt mit den Kunden. Mitarbeiter:innen besitzen oft nur sehr vage Vorstellungen von Zielgruppen, also davon, wer Kunde werden könnte. Wie Entscheidungsprozesse auf Kundenseite genau laufen, wissen sie jedoch nicht.
- Andererseits glaubt der Vertrieb, seine Kunden sehr gut zu kennen. Das ist manchmal in der Tat der Fall, häufig aber kennt der Vertrieb nur seinen Sales-Prozess – und der beginnt mit dem Erstkontakt. Welche Überlegungen und Prozessschritte vorher in dem Unternehmen stattfanden, wissen die meisten Verkäufer:innen nicht – und sie fragen auch nicht danach, da es nicht ihre Aufgabe ist. Diese Informationen, die insbesondere für das Marketing unerlässlich sind, fehlen dementsprechend.
In der Praxis beobachten wir regelmäßig eine Asymmetrie im Verhältnis zwischen Marketing und Vertrieb. Das Wissen, das Verkäufer:innen durch den engen Kontakt mit Kunden erwerben, fehlt dem Marketing. Das liegt in der Natur der Sache, zumal es in den wenigsten Unternehmen diesbezüglich Prozesse für die Wissensvermittlung gibt. Folglich ist es dem Marketing kaum möglich, auf Augenhöhe mit dem Sales zu diskutieren und Kunden mit den Argumenten anzulocken, die auch vom Vertrieb weitergegeben werden.
Diese Asymmetrie provoziert, dass Marketing und Vertrieb unterschiedlich mit Kunden kommunizieren. Im Extremfall fokussiert sich das Marketing in seinen Botschaften auf Jobs – Funktionen, die das Produkt oder die Dienstleistung beim Kunden erfüllt – die aus Sicht des Vertriebs für Zielunternehmen keine hohe Relevanz besitzen.
Lässt sich diese Situation mithilfe von Software verbessern?
Automatisierung mit Hilfe von Marketing- oder Vertriebs-Software gilt oft als Allheilmittel. Der Gedanke dahinter ist auch sinnvoll. Wenn das Marketing dem Vertrieb Leads automatisiert zur Verfügung stellt, können Verkäufer:innen die Historie aller Interaktionen inklusive aller abgegebenen Informationen bei den Downloads nachvollziehen. Darüber hinaus einigen sich beide Seiten in der Regel auf zahlreiche Kennzahlen und Dokumentationen, durch die das Lead Management (und die Kommunikation im Allgemeinen) ein wesentlich professionelleres Niveau erreicht.
Das Problem dabei: Technische Lösungen können die Zusammenarbeit, insbesondere die Kommunikation zwischen Abteilungen, nicht allein auf Vordermann bringen. Zudem ist der Vertrieb nicht gerade dafür bekannt, gerne mit Software zu arbeiten. Die meisten CRM-Systeme sind schlecht gepflegt. Ich erinnere mich an ein Meeting, das ich vor ein paar Jahren mit einem leitenden Vertriebsmitarbeiter für eine Marketing-Aktion hatte. Er übergab uns die Adressen in Form ausgedruckter Listen, E-Mails, Excel-Exporte aus dem CRM und einzelner Visitenkarten. Diese Daten zu konsolidieren, war eine Heidenarbeit, und als wir damit fertig waren, stellten wir fest, dass viele der Informationen mittlerweile veraltet waren.
Marketing Automation und CRM helfen bei der Zusammenarbeit. Die Probleme, mit denen Marketing und Vertrieb zu kämpfen haben, verschwinden dadurch leider nicht. Zudem helfen sie nicht dabei, die geringe Akzeptanz, die Marketing im Vertrieb genießt, zu verbessern.
Sollten Marketing und Sales nicht einfach fusionieren?
Eine strikte Trennung zwischen den Prozessen in Marketing und Vertrieb ergibt tatsächlich wenig Sinn. Beide Bereiche brauchen ein gemeinsames Ziel und ein einheitliches Kundenverständnis. Im Marketing und Sales Alignment geht es nicht darum, irgendwelche Leads im Marketing zu generieren und dann zu übergeben, sondern darum, qualifizierte und abschließbare Leads partnerschaftlich zu entwickeln. Dafür braucht es in Bezug auf den Kunden und dessen Entscheidungsprozesse tiefgreifendes Wissen, das allgemein verfügbar und kommunizierbar sein muss.
Davon abgesehen halte ich wenig davon, Marketing und Sales zusammenzulegen. Besser ist, die Dualität der beiden Bereiche produktiv zu nutzen. Diese Dualität besteht darin, dass die Verkäufer:innen vor allem in 1:1-Beziehungen denken und Marketing-Mitarbeiter:innen eher in Zielgruppen und Segmenten, sprich 1:n. Entsprechend der Informationsbedürfnisse der potenziellen Kunden vermitteln sie ihre Antworten, wobei das Marketing diese segmentorientiert in den frühen Entscheidungsphasen liefert, während der Vertrieb anschließend individuelle Antworten gibt. Daher produzieren die unterschiedlichen Beziehungsansätze in der Praxis fruchtbare Ergebnisse.
Ein weiteres Gegenargument betrifft die bereits angesprochene Asymmetrie. Wenn beide Seiten fusionieren, übernimmt in den meisten Fällen der Vertrieb die Gesamtleitung, schließlich genießt er in nahezu allen Unternehmen ein höheres Standing. Aber das funktioniert in der Gesamtheit oft nicht gut: Vertriebsleiter:innen sind meist auf die individuelle Ansprache trainiert und sehen das Marketing allzu leicht als schmückendes Beiwerk für mehr Bekanntheitsgrad und weniger als Lead-Experten, die einen Teil der klassischen Vertriebsarbeit übernehmen. Deshalb lieber zwei Bereiche, die sich ruhig auch etwas reiben.
Warum greift Marketing und Sales Alignment in der Regel zu kurz?
Die meisten Content-Angebote zum Thema Marketing und Sales Alignment sind leider oberflächlich. Meistens beschränken sich Artikel oder Whitepaper darauf, dass Marketing und Vertrieb gegenseitig respektvoll auf die Arbeit des anderen schauen und sich regelmäßig austauschen sollten. In der Praxis reicht das nicht, um die Zusammenarbeit grundlegend zu verändern.
Bitte nicht falsch verstehen: Wenn die Kolleg:innen aus Marketing und Vertrieb regelmäßig miteinander sprechen und sich gemeinsame Ziele setzen, ist bereits viel gewonnen. Erfahrungsgemäß können Unternehmen auf diese Weise aber nicht alle Probleme lösen, die sich im Zuge der Neukundengewinnung auftun.
Beispielsweise reichen ein paar gemeinsame Meetings nicht aus, um das Marketing auf denselben Wissensstand wie den Vertrieb zu bringen. Ganz davon abgesehen, dass die bereits beschriebenen Wissenslücken über die frühen Phasen der Entscheidungsfindung von Kunden auf diese Weise nicht geschlossen werden. Dafür braucht es – ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne – ein gemeinsames, fundiertes Verständnis des gesamten Entscheidungsprozesses, den Kunden auf dem Weg zu einer Lösung durchlaufen.
Wie erhalten Marketing und Sales dieses Kundenwissen?
Um den Kaufentscheidungsprozess Ihrer Kunden nachvollziehen zu können, müssen Sie die Personen fragen, die es am besten wissen: Die Mitarbeiter:innen, die in Kundenunternehmen an der Entscheidung beteiligt waren.
Dafür gibt es zwei Instrumente:
- Buyer Personas anhand narrativer Kundeninterviews. Buyer Personas sind recherchebasierte „Kundenarchetypen“, die Aufschluss über deren Kaufverhalten (nach Adele Revella: Investitionsauslöser, Erfolgsfaktoren, typische Hürden, Entscheidungseinflüsse & -kriterien) bzw. „Buyer’s Story“ geben. Dafür werden acht bis zwölf Personen befragt, die in die Kaufentscheidung involviert waren.
- Jobs-to-be-Done-Analysen auf Basis narrativer Interviews und quantitativen Kundenbefragungen. Bei Jobs-to-be-Done (JTBD) ordnet ein Unternehmen jedes Produkt und jede Dienstleistung, die es anbietet, bestimmten Jobs (sofern es mehrere sind) zu, die Kunden damit erfüllen. Anhand dieser Jobs lassen sich sämtliche Marketing- und Sales-Maßnahmen exakt auf die verschiedenen Stufen der Customer Journey zuschneiden.
Welches Instrument sich in Ihrem Fall am besten eignet, kann man leider nicht pauschal sagen. Buyer Personas helfen in erster Linie Unternehmen, die nur wenige Kunden befragen können. Das gleiche gilt für Organisationen, die zahlreiche Standardprodukte anbieten (z. B. ähnliche Lösungen mit unterschiedlichen Dimensionen oder für verschiedene Branchen), denn Buyer-Persona-Analysen erzielen verwertbare Ergebnisse, ohne sich in Details zu verlieren.
Jobs-to-be-Done ist für die Entwicklung eines gemeinsamen Kundenverständnisses in der Regel besser geeignet – vorausgesetzt, es steht eine ausreichend große Zahl an Kunden für Online-Befragungen und Interviews bereit. Dann ist es aufgrund der konsequenten Ausrichtung auf einzelne Jobs, die ein Kundenunternehmen mit einem Produkt oder einer Dienstleistung erfüllen will, einfacher, Analyse-Ergebnisse in operative Maßnahmen und Botschaften zu übertragen. Diese Sichtweise erleichtert es, Content, Argumente und Botschaften auf Kundensegmente auszurichten, die genau diesen Job mit einem Produkt oder einem Service erfüllen wollen.
Wie gehen Sie bei Marketing und Sales Alignment idealerweise vor?
Marketing und Sales Alignment basiert meines Erachtens auf sechs Säulen:
- Gemeinsames Kundenverständnis: Strukturiert gewonnenes Kundenwissen, sei es via Buyer Personas oder Jobs-to-be-Done, ist die Basis für gemeinsame Botschaften und Argumentationen.
- Organisatorischer Rahmen mit Verantwortlichkeiten und regelmäßigen Meetings: Tools und Wissensgrundlagen reichen nicht. Marketing und Vertrieb müssen sich regelmäßig abstimmen und über die Auswahl passender Instrumente und Kampagnen diskutieren.
- Gemeinsame KPIs: Wichtig sind darüber hinaus gemeinsame Kennzahlen. Hierbei geht es jedoch nicht um Page Impressions und Seitenbesuche, sondern um Account-bezogene KPIs, die Aufschluss geben, in welcher Phase des Entscheidungsprozesses sich Leads momentan befinden bzw. welche neue Phase sie erreicht haben.
- Technische Infrastruktur: Ohne Marketing Automation und CRM ist ein digitalisiertes (und damit maximal effektives) Marketing und Sales Alignment nicht durchführbar. Wichtig ist, dass die Tools regelmäßig und sorgfältig gepflegt werden. Andernfalls sind die darin enthaltenen Daten ggf. nicht aussagekräftig.
- Unterstützung von der Geschäftsführung: Marketing und Sales Alignment wird häufig vom Marketing vorangetrieben. Aufgrund der bereits angesprochenen Akzeptanzprobleme birgt dies die Gefahr, dass der Vertrieb sich Veränderungen verschließt.
- Ausgefeiltes Storytelling: Insight-Wissen, das durch Buyer-Persona- respektive JTBD-Analysen entsteht, muss möglichst effektiv in die Organisation getragen werden. Das funktioniert am besten via Storytelling.
Fazit
Marketing und Sales Alignment ist ein gravierender Veränderungsprozess, der je nach Größenordnung und Komplexität mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Zum einen müssen Ihre Teams dafür zunächst die nötigen Wissensgrundlagen erarbeiten. Zum anderen braucht es seine Zeit, bis die Zusammenarbeit eingeübt ist. Wir alle neigen dazu, in alte Prozesse und Gewohnheiten zu verfallen, wenn es schwieriger wird oder nicht gleich klappt. Deshalb benötigen Unternehmen vor allem eins: Geduld.
Darüber hinaus braucht es ein durchdachtes Vorgehen, das sich nicht nur auf Automatisierung, Meetings und Forderungen nach gegenseitigem Respekt beschränkt. Hinzukommen müssen vor allem fundiertes Kundenwissen, das beiden Seiten zur Verfügung steht, und – so erstaunlich das vielleicht klingt – gutes Storytelling. Denn mit Interviews und Befragungen betreiben wir Storylistening. Das bei den Kunden erhobene Wissen in die Organisation zu bringen, dazu nutzen wir Storys. Geschichten sind leichter zu verstehen, zu spüren und auch zu bei der täglichen Arbeit zu erinnern. Sie sind daher die ideale Basis, um Marketing und Vertrieb auf eine Linie zu bringen.