Growth Hacking will Wachstum durch eine möglichst positive Customer Experience fördern. Diesem Optimum nähern sich Software-as-a-Service (SaaS)-Anbieter, indem sie Methoden testen, Kanäle kombinieren, Daten analysieren und Erkenntnisse nutzen, um in der nächsten Iteration besser zu werden. Ihr experimentelles Vorgehen könnte jedoch effektiver sein, denn Growth Hacking weist eine grundlegende Schwäche auf.
Was ist Growth Hacking?
Growth Hacking (auch: Growth-Hacking, Growth Marketing) ist eine datengetriebene, cross-funktionale Strategie, die Methoden und Werkzeuge des digitalen Marketings nutzt, um klar definierte Wachstumsziele ressourcenschonend zu erreichen. Im Gegensatz zu methodischen Ansätzen wie Inbound Marketing liefert es kein Framework, das B2B-Anbieter 1:1 umsetzen können. Es ist eher eine Grundeinstellung, die von Experimentierfreude, Kreativität und Flexibilität geprägt ist.
Vom Prinzip her ähnelt Growth Hacking bewährten Projektmanagement-Ansätzen wie Agile und Lean. Daher ist es gerade in B2B-SaaS-Unternehmen beliebt. Anstelle aufwendiger, langfristig angelegter Marketing-Programme kommen kostengünstige, einfach umsetzbare Werkzeuge zum Einsatz, deren Wirksamkeit Anbieter anhand von Daten überprüfen. So entsteht ein Kreislauf aus Hypothesen, Maßnahmen und Überprüfung, der kontinuierlich wiederholt wird.
Beim Growth Hacking orientieren sich Marketer bis heute an den Ideen von Sean Ellis, der das Konzept in seinem Buch „Hacking Growth“ (2017) formuliert hat. Zu den erfolgreichen Anwendern zählen unter anderem Airbnb, Paypal, Slack sowie Dropbox. Neben größeren Unternehmen nutzen aber auch Startups den Growth Hack Ansatz, um ihr Geschäftsmodell zu schärfen, Ideen zu testen, Chancen zu entdecken, Bekanntheit zu erlangen und die einfachsten Wege zu finden, die ihr Business wachsen lassen.
Was machen Growth Hacker anders?
Growth Hacker richten ihren Fokus auf die gesamte Customer Journey; von der Entscheidungsvorbereitung bis hin zur Nutzung des Produktes oder Services. Dabei setzen sie auf Maßnahmen, die bestenfalls kurzfristig wirken. Diese Philosophie unterscheidet Growth Hacking von Konzepten wie Lead Generierung und Demand Generation:
Lead Generierung (z. B. via Inbound Marketing) fokussiert sich auf den oberen Bereich des Verkaufstrichters. Anbieter wollen möglichst viele Leads gewinnen und dann via Nurturing für den Vertrieb qualifizieren. Was danach mit den Kontakten geschieht, ist nicht mehr Sache des Marketings.
Demand Generation zielt darauf ab, Beziehungen zu lukrativen Neu- und Bestandskunden zu pflegen, die dem Ideal Customer Profile (ICP) am nächsten sind. Strategien wie Account-based Marketing (ABM) wollen ebenfalls ein durchweg positives Kundenerlebnis ermöglichen. Sie beinhalten aber Methoden, die zwar effektiv sind, jedoch häufig erst nach einiger Zeit wirken.
Sein Ziel – eine konsistente, angenehme Customer Experience – kann das Marketing nicht alleine erreichen. Es ist auf die Unterstützung anderer kundennaher Abteilungen angewiesen, allen voran aus dem Vertrieb. In einem Growth-Hacking-Team arbeiten daher nicht nur Marketer, sondern auch Kolleg:innen aus dem Sales oder der Produktentwicklung.
Growth Hacks in der Praxis
Growth Hacking funktioniert relativ simpel. Zunächst definieren Unternehmen wachstumsbezogene Ziele. Diese werden anhand von Kennzahlen ausgedrückt. Typisch ist z. B. eine Erhöhung von Customer Lifetime Value (CLV) oder Monthly Recurring Revenue (MRR). Denkbar ist aber auch, dass Anbieter ihre Kundenbindung steigern wollen und die Customer Churn Rate (CRR) als Zielwert nehmen.
Welche Wege zu den gewünschten Resultaten führen, ist zu Beginn völlig offen. Stattdessen hat Growth Hacking experimentellen Charakter:
- Das Growth-Team betrachtet sämtliche Touchpoints zum Kunden (z. B. Website, Social Media, Produkt). Es stellt Hypothesen darüber auf, wie das Kundenerlebnis dort mit welchen Maßnahmen verbessert werden kann.
- Inwiefern eine Hypothese zutreffend ist, überprüft das Team anhand von quantitativen Daten.
- Aktionen, die funktionieren, werden wenn möglich skaliert. Was nicht effektiv ist, wird optimiert oder aus dem Programm gestrichen.
Beispiele für Growth Marketing
Im Wesentlichen geht es darum, Dinge auszuprobieren, den „richtigen Mix“ zu finden. Dieser ist in jedem Unternehmen individuell. Techniken, die SaaS-Anbieter potenziell voranbringen können, sind unter anderem:
- Tools, die User animieren, eine Bewertung abzugeben.
- Individuelles, entscheidungsrelevantes Content-Marketing (z. B. ein branchenbezogener Blogbeitrag).
- Social Media Posts (v. a. bei LinkedIn), die auf Angebote & Features hinweisen.
- Dynamische Websites, ausgerichtet auf die Anforderungen wichtiger Kundensegmente.
- Suchmaschinenoptimierung für wichtige Keywords.
- A/B-Tests für Landing Pages, CTAs und Webseiten.
- Persönliche Kommunikation (so weit möglich).
- Begrüßungs- und Onboarding-Programme.
- Win-Back-Aktionen (z. B. via E-Mail-Marketing).
- Gewinnspiele.
- Kostenlose Testversionen.
- Referenzen.
Was sind die Vorteile von Growth Hacking?
Growth Hacking eignet sich für Unternehmen, die keine umfangreichen Marketing-Programme initiieren, zugleich aber kurzfristig Verbesserungen bewirken möchten. Das gilt zum Beispiel für Start-Ups, die genügend Budget gesammelt haben, um in Marketing und Vertrieb zu investieren. Sie können unterschiedliche Maßnahmen testen, auf das Feedback ihrer Zielgruppe reagieren und sich in kleinen Schritten der idealen Customer Experience nähern.
Richtig angewandt, ist Growth Hacking flexibel, innovativ, kundenorientiert, skalierbar und kosteneffizient. Es vereint Ideen moderner Marketing- und Sales-Konzepte (z. B. Customer Centricity, Multi-Channel-Maßnahmen & cross-funktionale Zusammenarbeit) mit dem Mindset des agilen Projektmanagements und bricht Grenzen zwischen den kundennahen Bereichen auf.
Trotzdem ist es nicht frei von Schwächen.
Was ist das Problem?
Growth Hacking bedeutet experimentieren. Dies geschieht aus einem einfachen Grund: Anbieter wissen nicht, wie die Customer Journey ihrer Zielgruppe funktioniert. Welches Problem Kunden mit dem Produkt lösen, wie sie bei der Recherche vorgehen, worauf sie beim Vergleich von Lösungen achten, solche Fragen müssen die kundennahen Bereiche bei der Strategieentwicklung selbst beantworten. Da sie sich nicht auf ihr Bauchgefühl verlassen wollen, nutzen sie quantitative Daten, die Aufschluss über die Effektivität ihrer Maßnahmen geben.
Dieser Ansatz ist zielführender als manch anderer Weg. Buyer Persona Templates etwa liefern für SaaS-Firmen keinen Mehrwert. Sich gemeinsam an den Tisch zu setzen und über (z. T. irrelevante) Attribute einer Zielgruppe zu diskutieren, die man nicht wirklich kennt, ist keine gute Basis für eine Marketing- und Sales-Strategie.
Ein Ersatz für die Analyse sollte Ausprobieren allerdings auch nicht sein. Eine vernünftige Planung, die Ressourcen sinnvoll investiert, ist so kaum möglich. Es ist eher eine „Verlegenheitslösung“, mit der Anbieter häufiger als nötig im Dunkeln tappen.
SaaS-Firmen müssen ihre Kunden befragen
Auch im Growth Hacking greifen Unternehmen auf einen Inside-out-Ansatz zurück. Ihre Marketing- und Sales-Anstrengungen beruhen auf internen Annahmen, die in dem Fall mithilfe von Daten punktuell validiert werden. Die Daten verraten allerdings nur, ob etwas funktioniert. Warum, steht auf einem anderen Blatt.
Genau hier ist der Haken am Growth Hacking: Es hilft nur bedingt, Kunden bzw. User zu verstehen. Eine Customer Experience zu gestalten, die externe Erwartungen erfüllt und sich positiv vom Wettbewerb abgrenzt, bleibt weiterhin hochkomplex.
Wesentlich sinnvoller ist, die Inside-out-Logik zu überwinden. Wenn Anbieter wissen möchten, was ihre Kunden während der Customer Journey brauchen, können sie einerseits experimentieren. Andererseits können sie aber auch einfach mit den Menschen sprechen, die es am besten wissen.
CLG kann Growth Hacking schärfen & Wachstum beschleunigen
Kunden befragen, den Input systematisch auswerten, Marktbearbeitung justieren. Das ist die Idee hinter einem jungen Ansatz aus den USA, der dort zunehmend bei SaaS-Unternehmen zum Einsatz kommt und den Kunden zum Wachstumstreiber machen will: Customer-led Growth (CLG).
CLG verfolgt dasselbe Ziel wie Growth Hacking: Das Kundenerlebnis soll an jedem Touchpoint positiv sein. CLG geht jedoch wesentlich zielgerichteter vor, denn es verfolgt eine „Outside-in“-Logik. Die Grundlage dafür entsteht durch Befragungen:
- In offenen bzw. narrativen Interviews reden Anbieter mit sechs bis zwölf Personen, die in Kundenunternehmen an der Kaufentscheidung beteiligt waren. Im Mittelpunkt steht die „Geschichte“ des Kunden. Die Interviews sollen offenlegen, wie und warum sich die Unternehmen für ein Angebot entschieden haben, wie sie Recherche, Anbietervergleich und Implementierung wahrgenommen haben.
- Fragebögen erweitern das Projekt um quantitative Erkenntnisse. Auch hier gehen Anbieter auf jede Phase der „Kundenreise“ ein.
Mit CLG entsteht eine Basis, die im Growth Hacking fast immer fehlt. Anwender:innen lernen, wie ihre Kunden ticken. Sie müssen nicht erst ausprobieren, welche Kanäle effektiv sind, was für Botschaften wirken oder welchen Content ihre Zielgruppe will. Sie wissen es bereits. Diese Sicherheit macht die Auswahl der Maßnahmen wesentlich leichter. Der Message Market Fit ist so hoch wie nur möglich.
Dazu gilt: CLG und Growth Marketing schließen sich nicht gegenseitig aus. Auf der operativen Ebene gibt es immer eine ganze Menge auszuprobieren. Und ewig lange Planungsunterlagen sind bei beiden Konzepten fehl am Platz. Was es braucht, ist jedoch ein gezielteres Vorgehen.
Growth-Hacking braucht einen Rahmen
Growth Hacking zielt auf skalierbares Wachstum ab. Unternehmen arbeiten iterativ daran, Interaktionen mit Kunden zu verbessern (Registrierungen, Conversions, Kontaktaufnahmen, Klicks etc.). Im Wesentlichen versuchen sie, Kundenwissen „on the Run“ zu gewinnen. Sie treffen eine Vielzahl an Maßnahmen und nähern sich langsam, aber immer gezielter dem Optimum.
Online Marketing besteht naturgemäß zu einem gewissen Teil aus Trial and Error. Allerdings braucht es einen Rahmen, der den Spielraum für Fehler und lange Verzögerungen verringert. Er entsteht, wenn Unternehmen im Sinne von Customer-led Growth ihre Kunden befragen und deren Customer Journey analysieren.
Das mag dem Grundgedanken des Growth Hackings widersprechen. Es ist aufwendig und führt nicht sofort zu messbaren Resultaten. Allerdings schafft es eine Basis für eine kundenzentrierte, zielgerichtete Marktbearbeitung, die sich positiv vom Wettbewerb abgrenzt und Erfolge aus der Vergangenheit systematisiert.