In einer Studie des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Gartner bestätigten 90 Prozent der befragten B2B-Kunden, dass sie ihre Kaufentscheidung mithilfe von hochwertigem Content vorbereitet haben. 55 Prozent von ihnen fiel es allerdings schwer, anhand dieser Inhalte die verfügbaren Lösungen einzuschätzen und zu vergleichen. Hier liegt ein Hebel für Verbesserungen, den der Vertrieb – aber auch das Marketing – mithilfe von Sense Making („Sinnstiftung“) bedienen kann.
Was bedeutet Sense Making?
Für die Vorbereitung strategisch wichtiger Investitionen steht B2B-Kunden heute eine Vielzahl an Informationen zur Verfügung. Zu fast jedem Thema gibt es Blogposts, Videos, Whitepaper und weitere Content-Formate, in denen sämtliche Aspekte eines Produktes oder Services ausführlich erläutert werden. Für die Recherche der Entscheider:innen ist diese Masse an Möglichkeiten ironischerweise kontraproduktiv.
Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch vom Content Shock. Damit bezeichnete der US-amerikanische Unternehmensberater Marc Schaefer schon 2014 eine logische negative Entwicklung im Content Marketing: Je mehr Unternehmen online Inhalte veröffentlichen, umso schwieriger wird es, damit seine Zielgruppen zu erreichen. Leidtragende sind nicht nur die Anbieter, sondern auch deren potenzielle Kunden. Die Zahl der Informationen, die sie im Rahmen der Entscheidungsfindung bewerten müssen, ist deutlich gewachsen – Tendenz steigend.
Nehmen wir zum Beispiel an, ein Industrieunternehmen hat Schwierigkeiten, Liefertermine einzuhalten. Für dieses Problem bieten sich auf der ersten Ebene mehrere Lösungen an, u. a. eine neue Software, Analysen mit künstlicher Intelligenz sowie Robotik, aber auch die Zusammenarbeit mit einem Outsourcing-Partner.
Welche Option die richtige ist, muss das Unternehmen recherchieren und abwägen. Dafür gibt es zwar Dutzende oder gar Hunderte Content-Angebote. Die Vorteile und Spezifikationen der beschriebenen Lösungen werden darin jedoch isoliert, nicht aber im Vergleich zueinander dargelegt. Die Mitglieder des Buying Centers stehen daher oft vor einer Bibliothek voller Rechercheinhalte, die einen Gesamtüberblick zu ihrer Situation erschweren, da sie nicht alle in eine Richtung weisen, sich untereinander widersprechen oder Fragen offen lassen. In der Konsequenz steigt die Komplexität ihrer Entscheidung.
An dieser Stelle kann der Vertrieb die Customer Experience verbessern. Sense Making ist eine von Gartner entwickelte Sales-Strategie, mit der Verkäufer:innen die Entscheidungsvorbereitung ihrer Kunden unterstützen und vereinfachen. Der Vertrieb erfüllt hierbei eine „sinnstiftende“ Funktion und entwickelt sich noch stärker zum Berater, der Fachentscheider:innen hilft, Lösungswege zu vergleichen, Informationen zu selektieren und am Ende die beste Wahl zu treffen.
Wie funktioniert Sense Making?
Um zu verstehen, wie Sense Making Rechercheprozesse unterstützt, müssen wir die Situation der B2B-Kunden betrachten. Werden Menschen mit umfangreichen Informationen konfrontiert, verfallen sie an einem bestimmten Punkt in sogenannte Cognitive Biases. Das sind kognitive Verzerrungen, die fehlerhafte Wahrnehmungen, Erinnerungen, Denkmuster und Urteile provozieren. In diesem Fall führen sie dazu, dass Menschen:
- den ersten Informationen, die sie zu einem Thema erhalten haben, zu viel Beachtung schenken.
- zu lange an ihren ersten, initialen Gedanken festhalten.
- Frust entwickeln und die Entscheidung aufschieben.
Wenn wir nach einem Thema recherchieren, erreichen wir irgendwann einen Punkt, an dem es zu viel wird. Dann sinkt mit jeder neuen Information die Chance, dass eine Entscheidung getroffen wird.
Sense Making soll Vertrauen schaffen
Damit B2B-Kunden eine Kaufentscheidung treffen, muss eines von zwei Szenarien eintreten – andernfalls droht der Aufschub der Entscheidung, unter Umständen bis zum Sankt Nimmerleinstag:
- Das Buying Center entwickelt während seiner Recherche genügend Sicherheit, um seine Entscheidung voller Überzeugung zu treffen. Dafür muss es überzeugt sein, die richtigen Kriterien untersucht und die Informationen ausreichend sondiert zu haben.
- Alternativ stützt das Buying Center sein Vertrauen auf die Expertise der Verkäufer:innen. Dafür muss der Anbieter sich via Sense Making bereits in den frühen Phasen der Buyer‘s Journey als Unterstützer respektive Navigator positionieren, der Kunden zur für sie besten Entscheidung führt.
Teil einer kundenzentrierten Vertriebsstrategie ist dementsprechend eine dazu passende Informations- oder Inhaltsstrategie. Hier gilt das Credo „Einfachheit vor Vollständigkeit“. Sense Making bedeutet, Informationen zu liefern, die auf den Punkt gebracht die wesentlichen Kundenfragen beantworten und Fakten über verschiedene Lösungen verknüpfen. Ziel ist ein Gesamtbild, das umfassend, aber schnell und einfach begreifbar ist.
Sense Making fußt als Vorgang auf drei Säulen
In den meisten Unternehmen gibt es zwei Wege, die Verkäufer:innen einschlagen, wenn sie Kunden mit Informationen versorgen:
- Entweder sie stellen Kunden relevanten Content per E-Mail (oder ausgedruckt) zur Verfügung. Dies geschieht in der Regel mit einer „Je mehr, desto besser“-Mentalität, die häufig kontraproduktiv ist.
- Oder sie beantworten die Fragen des Buying Centers im persönlichen Gespräch. Inwiefern dies zur Entscheidungsfindung beiträgt, hängt von der Qualität und Erfahrung der Sales-Mitarbeiter:innen ab.
Sense Making soll dazu beitragen, eine kundenzentrierte Struktur in die Informationsweitergabe im B2B-Vertrieb zu entwickeln. Konkret sollen Unternehmen für ihre Kunden drei Aufgaben lösen:
- Informationen verknüpfen
- Vertrauen schaffen
- Recherche begleiten
1: Informationen verknüpfen
Die erste Funktion im Sense Making ist, Menschen dabei zu helfen, Informationen zu filtern, zu selektieren und einzuordnen. Dies erfolgt einerseits im persönlichen Gespräch. Andererseits benötigt der Vertrieb Content, der möglichst exakt auf den Entscheidungsprozess und die typischen Fragen zugeschnitten ist, die während der Buyer’s Journey aufkommen. Ausufernde Erläuterungen über Produktdetails oder allgemeine Branchenthemen gilt es hingegen zu vermeiden.
2: Vertrauen schaffen
Die Entscheidung für hochpreisige B2B-Produkte und -Services ist schwierig, zumal Ihre Kunden dabei zahlreiche Faktoren beurteilen müssen. Die zweite Aufgabe im Sense Making besteht darin, den Mitgliedern des Buying Centers zu vermitteln, dass sie bereits bei ihrer Recherche das Richtige tun. Dafür muss der Sales auf die jeweiligen Präferenzen der Entscheider:innen eingehen und „Meilensteine“ im Auswahlprozess klar benennen. Auf diese Weise erhöht sich das Selbstvertrauen, das Kunden für die finale Auswahl benötigen.
3: Recherche begleiten
Sense Making könnte man als „Hilfe zur Selbsthilfe“ bezeichnen. Verkäufer:innen muss es gelingen, die Entscheidungen der Kunden als Unterstützer voranzutreiben, ohne dabei aufdringlich oder egoistisch zu wirken. Die Kunden sollen das Gefühl bekommen, für ihre Herausforderungen die bestmögliche Lösung gefunden zu haben. Die Kontrolle liegt dabei stets bei ihnen; der Vertrieb navigiert sie lediglich durch das Dickicht an Einflussfaktoren und Details.
Wie kann das Marketing den Vertrieb unterstützen?
Sense Making ist in erster Linie eine Vertriebsstrategie, die der Sales individuell auf den Status quo des potenziellen Kunden ausrichten muss. Da er dessen Entscheider:innen heute immer später im Auswahlprozess kennenlernt, braucht er allerdings die Unterstützung des Marketings.
Sinnstiftend kann der Vertrieb nur dann agieren, wenn er neben fachlichem Detailwissen ein grundlegendes Verständnis dafür hat, wie die Buying Center der Kunden funktionieren. Dafür nutzt der Sales sogenannte Buying-Center-Analysen, in denen typischerweise die Rollen und Anforderungen der Mitglieder betrachtet werden.
Diese interne Sicht muss für eine durchgängige Sense-Making-Strategie um die externe, sprich: die Kundenperspektive erweitert werden. Dies ermöglicht es, auch die frühen Phasen der Entscheidungsfindung (also vor dem Kontakt mit dem Vertrieb) durch Sense Making zu fördern.
Jobs-to-be-Done liefert Kundeneinblicke für Sense Making
Die Umsetzung einer Sense-Making-Strategie erfordert Insight-Wissen, das Unternehmen mit der Jobs-to-be-Done-(JTBD)-Methode generieren können. JTBD ist ein strategischer Ansatz für die Analyse von Kundenzielen und -anforderungen. Er basiert auf Kundenbefragungen (z. B. Online-Fragebögen) und qualitativen Interviews, die sich auf die Bedürfnisse und Ziele fokussieren, die die Befragten mit dem Kauf eines Produkts bzw. der Beauftragung einer Dienstleistung erfüllen wollen.
Ein „Job“ ist im JTBD-Kontext keine einfache Arbeitsaufgabe, sondern ein dynamischer Prozess, der unter bestimmten Umständen zu einem konkreten Endergebnis führen soll. Dieses Resultat kann zahlreiche Formen annehmen, beispielsweise die Erfüllung eines extrinsischen Bedürfnisses (z. B. einer Arbeitsanweisung im Beruf), die Befriedigung eines intrinsischen Bedürfnisses (z. B. Hunger stillen) oder Abstraktes (z. B. Unterhaltung).
Der Job-to-be-Done eines Kunden ist ein übergeordnetes Ziel, das eine oder mehrere Personen im Kundenunternehmen erreichen wollen. Dieses Ziel ist grundsätzlich lösungsneutral, denn dem Kunden ist egal, auf welchem Weg er es erreicht. Ihr Angebot ist lediglich ein Weg unter vielen, um das Ziel zu erreichen.
Für ein Content Marketing, das den Vertrieb via Sense Making unterstützt, ist JTBD aufgrund der starken Ausrichtung an den Jobs sowie den dafür geeigneten Lösungswegen interessant. Sie führt zu einer dynamischen, prozessbezogenen Perspektive, anhand der Sie nicht zuletzt auch den Informationsbedarf Ihrer Zielgruppen während der Buyer’s Journey einschätzen und strukturieren können. Auf dieser Basis kann das Marketing Content und Prozesse kreieren, die die Sense-Making-Strategie des Vertriebs unterstützen.
Zusammengefasst
Sense Making („Sinn stiften“) ist ein kundenzentrischer Ansatz, mit dem der Vertrieb die Entscheidungsfindung von Kunden erleichtern will. Verkäufer:innen fokussieren sich damit noch stärker auf ihre Beratungsfunktion und helfen ihren Kontakten, Lösungen zu vergleichen, Informationen zu filtern und die Auswahl voranzutreiben. Auf diese Weise sollen Vertrauen und (im nächsten Schritt) Loyalität entstehen.
Das Marketing kann diese Strategie in Form von Sales Enablement bereichern. Die Basis dafür schaffen Kundenbefragungen und Interviews, in denen die Anforderungen und Bedürfnisse von Kundensegmenten systematisch (sowie entscheidungsprozessbezogen) herausgearbeitet werden. Im Kern geht es dabei darum, zu verstehen, wie Entscheidungsprozesse in Kundenunternehmen ablaufen. Darauf aufbauend lässt sich eine Content-Marketing-Strategie entwickeln, die für jede Phase der Customer Journey Informationen bereithält.