In den wenigsten B2B-Unternehmen sind die Fachbereiche gleichmäßig am Umsatz beteiligt. In den USA sprechen Expert*innen in diesem Zusammenhang von „x-led Growth“, wobei das x den jeweiligen Hauptantreiber beschreibt, der für das Wachstum am stärksten verantwortlich ist. Ein Blick auf dieses Konzept lohnt sich, denn es hilft Ihnen, Schwächen bei der Neukundengewinnung zu identifizieren und diese zielgerichtet zu beseitigen.
In diesem Beitrag stellen wir Ihnen die wichtigsten „x-led“-Ansätze inklusive deren Stärken und Schwächen vor. Dazu erfahren Sie, welches dieser Konzepte für B2B-Unternehmen am besten geeignet ist.
Sales-led Growth: Der Vertrieb lässt seine Muskeln spielen
Sales-led sind alle Firmen, in denen Wachstum vor allem durch Vertriebstätigkeiten gefördert wird. Dies ist für die meisten B2B-Unternehmen das klassische Modell, wenn sie auf Direktvertrieb setzen. Es ist vor allem in Industrie-, Beratungs- und anderen Professional-Services-Branchen verbreitet, aber auch bei vielen IT- und Software-as-a-Service-Anbietern.
Diese Unternehmen (zwei prominente Beispiele sind Salesforce und Microsoft) generieren Leads, indem ihre Sales-Teams aktiv den Markt bearbeiten und häufig potenzielle Kunden „kalt“ kontaktieren. Zudem setzen Sales-led-Firmen sehr stark auf Messen oder Events, um Kundschaft anzulocken.
Marketing spielt in diesen Organisationen eine eher untergeordnete Rolle. Es ist in erster Linie dafür verantwortlich, das Bild der Marke zu prägen und bekannt zu machen. Dazu unterstützt es den Sales mithilfe von Kampagnen (Anzeigen, E-Mails etc.) bei der Neukundengewinnung. Die Kontrolle über die Entwicklung und den Abschluss aussichtsreicher Kontakte – und damit über den Umsatz – liegt aber eindeutig beim Vertrieb.
Das Problem des Sales-led-Ansatzes ist, dass viele Unternehmen dadurch nicht ihr volles Potential schöpfen. Bereiche wie Marketing und Service, die für die Kundenakquise und -bindung wichtige Impulse liefern könnten, werden in vertriebsorientierten Organisationen häufig vernachlässigt.
Darüber hinaus wirkt sich eine zu exponierte Stellung des Vertriebs teilweise negativ auf das Betriebsklima und die Zusammenarbeit zwischen den Fachabteilungen aus, die mit Kunden zu tun haben. Marketing und Sales Alignment – eine wichtige Voraussetzung für eine ideale Customer Experience – ist in Sales-led-Unternehmen beispielsweise schwer erreichbar, da beide Abteilungen nicht auf Augenhöhe agieren. Dass sich Vertrieb und Marketing, aber auch Support und/oder Service auf eine gemeinsame Linie verständigen, ist unter diesen Voraussetzungen unwahrscheinlich.
Dieses Problem – schlechte Abstimmung zwischen den Fachabteilungen – sollten Führungskräfte nicht unterschätzen. Der Vertrieb tendiert z. B. oft dazu, Kunden mit Versprechungen zu ködern, die er allein nicht erfüllen kann. Werden dem Kunden beispielsweise Support-Leistungen angekündigt, ohne dass die verantwortliche Abteilung darüber informiert wird, wirkt sich das negativ auf die Customer Experience (und damit die Kundenbindung) aus.
Marketing-led Growth: Neukundengewinnung durch Pull-Effekte
Firmen, deren Wachstum durch Marketing-Strategien wesentlich beeinflusst wird, verfolgen einen Marketing-led Growth-(MLG)-Ansatz. In den vergangenen rund zehn Jahren haben sehr viele B2B-Unternehmen auf Inbound Marketing gesetzt, das dieser Kategorie zuzuordnen ist. Das Marketing verantwortet in diesem Fall die Lead Generierung, übernimmt die Weiterentwicklung der neuen Kontakte in frühen Entscheidungsphasen und übergibt die Leads an den Vertrieb, sobald sie ausreichend qualifiziert erscheinen.
Dieses Vorgehen, das einer Pull-Logik folgt, hat sich in den vergangenen Jahren in zahlreichen Fällen bewährt. Aus diesem Grund funktioniert das Inbound-Spiel in manchen Unternehmen leider nicht mehr so gut wie früher, denn in einigen Branchen setzen mittlerweile fast alle Wettbewerber auf Inbound Marketing. Die Folge: Sich mit Content vom Markt abzugrenzen wird immer schwieriger, Webseiten-Traffic und Conversion-Raten sinken, die Download-Zahlen gehen zurück.
Darüber hinaus verlassen sich MLG-orientierte Firmen zu stark auf das Marketing. Im Inbound Marketing beobachten wir z. B. regelmäßig, wie Vertriebs-Teams die Verantwortung für die Neukundengewinnung abwälzen und ungeliebte Aufgaben wie die Kaltakquise vernachlässigen. Dieses Vorgehen ist riskant, denn letztlich sind Marketing-Aktivitäten niemals mehr als ein Instrument, das vertriebliche Arbeit erleichtert bzw. unterstützt.
Bitte nicht falsch verstehen: Inbound Marketing kann auch heute noch einen signifikanten Einfluss auf die Neukundengewinnung nehmen. Damit dies gelingt, müssen Unternehmen allerdings Lösungen für eine Reihe von Problemen finden.
Weitere Marketing-led Growth-Ansätze sind Account-based Marketing (ABM) und Demand Generation. ABM ist zwar ohne Zusammenarbeit mit dem Vertrieb undenkbar. Beide Bereiche müssen sich auf Zielkunden verständigen und ständig abstimmen. Da es aber meist um die Bearbeitung von Kundensegmenten geht und selten um die 1:1-Bearbeitung weniger Zielunternehmen, bleibt es ein Marketing-led Growth-Ansatz. Demand Generation wird hierzulande noch zu wenig beachtet. Vorreiter ist Chris Walker mit seiner Agentur Refine Labs. Da potenzielle Kunden immer schlechter im Inbound-Sinne erreichbar sind und sich seltener für Content registrieren wollen, schlägt Walker neue Wege vor. Diese bestehen vor allem aus großen Mengen an frei verfügbarem Social-Media-Content, Thought Leadership, neue Formate wie Podcasts sowie Community-Building.
Product-led Growth: Produkte verkaufen sich „wie von selbst“
Auf Product-led Growth (PLG) setzen alle Firmen, deren Wachstum produktgetrieben ist. Hierzu zählen z. B. Software-as-a-Service-Anbieter, die Tools mit niedriger Einstiegshürde anbieten und Kunden damit zum Kauf weiterer Features animieren.
Das Grundprinzip von PLG ist simpel. Anwender:innen registrieren sich für Freemium- oder Free-Trial-Versionen und erleben viele Vorteile einer Software schon vor dem Kauf. Gleichzeitig werden ihnen in ihrer Version weitere Funktionen schmackhaft gemacht, für die sie auf kostenpflichtige Varianten wechseln müssen.
Ihr Wachstum erzielen Anbieter, die auf PLG setzen (z. B. Trello, Slack oder Dropbox), also über Upgrade-Pfade, die innerhalb des Tools angelegt sind. Marketing- und Vertriebsaktivitäten sind in diesen Unternehmen in einem Growth-Sinne vergleichsweise gering ausgeprägt. Der Sales kommt z. B. in der Regel erst dann ins Spiel, wenn der Kunde den Kontakt über ein Formular anfordert. Der vertriebliche Aufwand geht dementsprechend gegen null; abgesehen von Online-Chats, Produkt-Demos oder Support-Anfragen.
PLG hat sich in den vergangenen Jahren für SaaS-Unternehmen bewährt. Allerdings verführt es zu einem verbreiteten Fehler, den IT-Unternehmen seit Jahren regelmäßig begehen: Sie denken zu stark für ihre Kunden:
- Das Produkt-Team legt in internen Workshops fest, welche Funktionen Kunden gebrauchen könnten.
- Der Sales legt Maßnahmen fest, mit denen Kunden aufgrund der Produktnutzung qualifiziert und konvertiert werden sollen.
- Das Marketing erstellt Kommunikationsstrategien, die Kunden den intern definierten Produktnutzen näherbringen.
Die tatsächlichen Anforderungen der Kunden geraten bei diesem Vorgehen schnell in Vergessenheit. Das ist vor allem in technischen B2B-Unternehmen generell nicht ungewöhnlich. Bei PLG-orientierten Firmen wirkt sich dies allerdings besonders stark auf den Umsatz aus, da ihr direkter Kundenkontakt durch das produktzentrische Vorgehen ohnehin auf ein Minimum beschränkt ist. Ihr Wissen über ihre Kunden, deren Herausforderungen und Entscheidungsprozesse besteht oft nur rudimentär – und das ist nicht ideal.
Alle Firmen, deren Wachstum durch den Einsatz von Plattformen entsteht, auf denen Kunden mit Werbung bespielt werden können, nutzen Engineering-led Growth. Beispiele sind Social-Media-Plattformen wie Facebook oder LinkedIn. Engineering-led-Firmen setzen darauf, Besucher möglichst lange auf den eigenen Seiten zu halten und sich in Form von Anzeigen bezahlen zu lassen. Sie erzielen ihr Wachstum also über eine große Nutzerzahl, da deren Interaktionen mit Werbung ihren Umsatz machen. Auch dieser Ansatz hat seine Vor- und Nachteile. Da er nur für die wenigsten B2B-Unternehmen geeignet ist, gehen wir in diesem Beitrag aber nicht genauer darauf ein.
Der Königsweg: Customer-led Growth
Die Ansätze, die wir bis hierhin betrachtet haben, sind nach wie vor in vielen B2B-Unternehmen vorherrschend. Das hat seinen Grund, schließlich konnten diese Firmen in den vergangenen Jahren damit ihr Wachstum massiv ankurbeln. PLG, MLG und SLG weisen jedoch zwei gravierende Schwächen auf, die verhindern, dass Unternehmen ihr volles Potential ausschöpfen:
- Zum einen tendieren Firmen sowohl bei Sales-led Growth als auch bei PLG und MLG dazu, sich auf einen Wachstumstreiber zu fokussieren und andere Bereiche (sei es Marketing, Vertrieb oder Service) zu vernachlässigen. Dies wirkt sich negativ auf die Customer Experience aus.
- Zum anderen entstehen Strategien für Neukundengewinnung und Umsatzsteigerungen fast immer intern. Es handelt sich um „Inside out“-Ansätze, bei denen die Bedürfnisse und Wünsche realer Kunden außen vor bleiben. Eine Abgrenzung von der Konkurrenz ist unter diesen Voraussetzungen schwierig. Der Wettbewerb um profitable Kunden wird jedoch immer härter.
Beide Schwächen können Sie mit einem weiteren x-led-Growth-Ansatz beseitigen: Customer-led Growth (CLG). Diese Strategie folgt einer einfachen Logik: Unternehmen nutzen methodisch gewonnenes Kundenwissen, um Prozesse in Marketing, Service und Vertrieb konsequent auf die Customer Journey potenzieller Kunden (sowie Bestandskunden) auszurichten. Sie erhalten dadurch exakte Hinweise, welche Methoden, Argumente und Begriffe es braucht, um Kunden die bestmögliche Customer Experience zu bieten. Entscheider:innen hören bzw. lesen letztlich genau das, was ihnen während der Buyer’s Journey wichtig ist.
Bei Customer-led Growth differenzieren Sie zuallererst nach Marktsegmenten mit unterschiedlichen Zielen (oder Jobs-to-be-Done), die sie mit Ihrem Produkt oder Ihrer Dienstleistung erreichen wollen. Anschließend unterteilen Sie die Kaufreise je nach Kundensegment in einzelne Phasen – von der Lösungssuche bis hin zur Anbieterauswahl und dem After-Sales – und wählen mit Blick auf die Bedürfnisse der Kunden geeignete Instrumente aus, die der Entscheidungsvorbereitung dienlich sind.
Operatives Kernstück ist hierbei ein Prozess, der als Customer Journey Mapping bekannt ist: Im Rahmen dieses schrittweisen Vorgehens weisen Sie jedem Touchpoint, an dem Kunden mit Ihrer Marke in Berührung kommen, dazu passende Prozesse, Argumente und Botschaften zu, die an diesem Punkt für die Kunden von Bedeutung sind.
Customer-led Growth funktioniert nicht ohne Kundenwissen
Um CLG anzuwenden, genügt es nicht, Informationen zum Entscheidungsprozess der Kunden intern zusammenzutragen. Erfolgreich ist dieser strategische Ansatz nur, wenn Ihr Unternehmen seine Kunden besser kennt als der Wettbewerb und sich kompromisslos auf sie ausrichtet. Dafür müssen Sie mit Menschen sprechen, die direkt an der Kaufentscheidung beteiligt waren.
Für diese Aufgabe eignen sich zwei Instrumente:
- Auf Basis qualitativer Interviews und quantitativer Kundenbefragungen entwickelte Jobs-to-be-Done-(JTBD)-Analysen. Bei JTBD ordnen Sie jedes Produkt bzw. jede Dienstleistung Ihres Unternehmens Jobs zu, die Ihre Kunden damit erfüllen wollen. Darauf aufbauend werden sämtliche Marketing- und Sales-Maßnahmen so ausgerichtet, dass sie Entscheider:innen in den verschiedenen Stufen ihrer Customer Journey bestmöglich ansprechen.
- Anhand qualitativer Interviews erstellte Buyer Personas. Im Rahmen einer Buyer-Persona-Analyse werden zehn bis zwölf Personen befragt, die an der Entscheidung für Ihr Produkt bzw. Ihre Dienstleistung beteiligt waren. Darauf aufbauend entstehen archetypische Beschreibungen von Kunden, die Aufschluss über die 5 Rings of Buying Insights geben (nach Adele Revella: Investitionsauslöser, Erfolgsfaktoren, typische Hürden, Entscheidungseinflüsse und -kriterien). Das Resultat ist ein klares, verständliches Bild des Entscheidungsprozesses Ihrer Kunden.
Die Erkenntnisse, die Sie mit diesen Analyse-Werkzeugen erhalten, müssen allen Unternehmensbereichen vermittelt werden, mit denen Kunden während der Customer Journey in Berührung kommen. Auf diese Weise entsteht ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen und Bedürfnisse der Kunden. Das ist die Basis für Customer-led Growth.
Anders als bei SLG, PLG und MLG handelt es sich bei Customer-led Growth um einen „Outside in“-Ansatz, bei dem Sie Customer Insights über Ihre Kunden von außen in Ihr Unternehmen tragen. Darauf aufbauend stimmen Sie sämtliche kundennahen Prozesse systematisch auf die Customer Journey ab.
Auf diese Weise bringen Sie nicht nur Marketing, Sales und Service auf eine gemeinsame Linie. Zugleich beruhen sämtliche Maßnahmen, die Sie im Zusammenhang mit der Neukundengewinnung und der Bindung von Bestandskunden treffen, nicht mehr länger auf Mutmaßungen. Sie basieren auf den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen, die Sie mit diesen Maßnahmen erreichen wollen.
Fazit
Bei der Neukundengewinnung geben häufig Kleinigkeiten den Ausschlag. Wesentlich ist in erster Linie die Customer Experience, die Kunden im Rahmen ihres Kaufentscheidungsprozesses und der Nutzung eines Produktes oder einer Dienstleistung erleben. Diese Erfahrung ist bei Ansätzen wie Sales-led Growth, Marketing-led Growth und Product-led Growth nicht automatisch optimal. Unternehmen, die sich zu stark auf eines dieser Konzepte konzentrieren, schöpfen daher nur im Ausnahmefall ihr volles Potential aus.
Customer-led Growth kann die Schwächen dieser Ansätze ausgleichen. Dafür braucht es nach unserer Erfahrung selten einen „Big Bang“. Letztlich kommen dabei dieselben Instrumente zum Einsatz, die Unternehmen bereits heute für die Neukundengewinnung einsetzen. Vielmehr geht es darum, Strategien und Werkzeuge mit Blick auf strukturiert gewonnenes Kundenwissen exakt auf die Bedürfnisse und Anforderungen ihrer Kunden zuzuschneiden. Dieses an sich simple Vorgehen sorgt für eine Differenzierung vom Wettbewerb, die gerade in umkämpften Märkten den Unterschied machen kann.