Account-based Marketing bietet – im Gegensatz zu Inbound Marketing – den Blick auf ganze Accounts. Das ist eigentlich der zentrale Nachteil eines Inbound-Marketing-Systems (und damit auch der meisten Strategien und Agenturen): Der Zugang zu einem Unternehmen ist immer eine Einzelperson.
Wir bezeichnen also eine Einzelperson und kein Unternehmen mit einem Entscheidergremium als Lead. Diesen versuchen wir zu bearbeiten, das Verhalten zu ihm oder ihr analysieren wir. Wenn dieses Verhalten nicht zu unseren Vorstellungen passt, dann fällt der Lead aus unserem Fokus. Und ob dieser Kontakt wirklich eine Entscheidung vorantreiben will und kann, bleibt vollkommen außen vor.
Der Lead muss eigentlich ein Unternehmen sein
Nehmen wir beispielsweise an, dass dieser Lead-Kontakt alle Nurturing-E-Mails ignoriert. Dann gehen wir davon aus, dass er sich doch nicht für unser Angebot interessiert. Bedeutet das, dass dieses Unternehmen sich nicht in den kommenden 12-24 Monaten für ein vergleichbares Produkt oder eine Dienstleistung entscheidet? Kann sein, muss es aber nicht. Nur unsere generierte Kontaktperson scheint keine aktive Rolle in dem Prozess zu verfolgen. Oder aber beschlossen zu haben, dass er bei uns als Anbieter nicht fündig wird. Was innerhalb des Unternehmens und im Entscheidergremium passiert, wissen wir schlicht und ergreifend nicht.
Hier setzen Account-based-Marketing-Systeme an: Sie zeigen mir beispielsweise über konsolidierte Lead-Scores, dass das Entscheidergremium in der Gesamtheit ein hohes Interesse zeigt. Wenn auch vielleicht jeder einzelne unter der definierten Schwelle bleibt.
Ein Inbound-Marketing-System bietet also immer den Blick auf eine Person und alle seine/ihre Aktivitäten (Behaviour) sowie eingetragenen Informationen (Profil). Wie viele weitere Kontakte wir in jener Firma haben, sehen wir erstmal nicht. Schon ab wenigen Dutzend Registrierungen pro Monat fällt jedoch keinem mehr auf, dass mehrere Kollegen unseres Kontakts sich auch etwas heruntergeladen haben. Ein Account-Based-Marketing-System ermöglicht uns diesen Blick auf mehrere Unternehmensmitglieder und das Entscheidergremium.
Natürlich ermöglicht uns ein integriertes CRM-System diesen Blick. Aber damit arbeitet vor allem der Vertrieb und nicht das Marketing. Natürlich können wir mit entsprechenden Abfragen Listen erzeugen, die uns mehrere Personen aus einem Unternehmen vor Augen führen. Aber den Blick auf ein Entscheidergremium, auf einen Account, wird uns denkbar schwer gemacht. Und sobald der Faktor Mensch rein kommt, sprich es jemandem beim Blick auf eine Liste feststellen muss, haben wir aus Automatisierungssicht schon verloren. Denn Marketing Automation heißt ja auch, unabhängig von der Aufmerksamkeit des Menschen zu werden und dass wir im Zweifelsfall auch schnell agieren wollen.
Entscheidergremien wachsen
Wenn wir einen Schritt weiter denken, dann wollen wir natürlich mit mehreren Personen in jenem Unternehmen interagieren – und zwar untereinander abgestimmt auf die jeweiligen Interaktionen.
Jemand bei einem unserer Zielkunden lädt ein Whitepaper herunter. Wir kennen seinen Chef und haben ihn als Kontakt in unserer Datenbank. Dann wäre doch ein denkbares Szenario, diesem persönlichen Kontakt eine E-Mail als Follow-up der Aktivität seines Mitarbeiters zu schicken. Vielleicht hat uns dieser persönliche Kontakt ja nicht auf dem Schirm. Diesen Prozess aufzusetzen, ist in einem Inbound-Marketing-System etwas schwieriger – zumal dieser persönliche Kontakt, der sich nicht registriert hat, ja eher im CRM- als im Inbound-Marketing-System findet.
Nehmen wir nochmal eine andere Perspektive ein: Eine Entscheidung wird heute von einem Buyer-Gremium gefällt und fast nie von einer einzelnen Person. Das Marktanalyseunternehmen CEB (heute: Gartner) schreibt in seinem hervorragenden Buch „The Challenger Customer“, dass an einer B2B-Entscheidung durchschnittlich 5,4 Personen beteiligt sind. In neueren Veröffentlichungen, z. B. im „More Clients Podcast“ von Ian Brodie, Episode 29 mit Brent Adamson, sagt dieser, dass sie inzwischen (nach nur 12 Monaten!) sogar von 6,8 Entscheidern ausgehen.
Wie hilft mir Inbound Marketing diese 6,8 Personen im Entscheidergremium zu bearbeiten? Sehr wenig bis gar nicht. Inbound Marketing zeigt mir, dass sich eine Person mit mir als Anbieter beschäftigt. Aber nicht, dass ein Entscheidungsgremium dies tut.
Zum einen ist es eine methodische Voraussetzung, dass sich jeder im Entscheidergremium (Buying Center) registriert hat, damit er im Lead-Nurturing weiter entwickelt werden kann. Zum anderen muss ich alle anderen in meiner Datenbank erst einmal als Kollegen identifizieren. Dass dies schwierig ist, habe ich oben bereits ausgeführt.
ABM ist eine Strategie aus dem Bereich der Demand Generation (Nachfragegenerierung). Wenn Sie darüber mehr lesen möchten, empfehlen wir Ihnen unseren Beitrag „Demand Generation im B2B Marketing„. Darin erklären wir die wichtigsten Grundprinzipien, Methoden und Strategien.
Entscheiden in Gremien ist schwierig
Wenn wir uns die Umfrageergebnisse aus The Challenger Customer noch weiter anschauen, dann zeigen sie eins: Entscheiden ist für Unternehmen schwierig. Die Entscheider verhalten sich nicht so, weil sie uns im Marketing oder Vertrieb ärgern oder ignorieren wollen. Sie können in ihrem Entscheidungsprozess viel unabhängiger vom Außen reagieren, aber intern wird es schwieriger.
Wenn wir uns die üblichen Statistiken über die Buyer’s Journey anschauen, dann verhält sich der Kunde beim Kaufen oder Beauftragen blöderweise heute anders: Er sucht sich seine Informationen selbst zusammen, bewertet sie und kontaktiert den Anbieter und dessen Verkäufer so spät wie möglich. In Marketing und Vertrieb müssen wir uns darauf einstellen. Und wir müssen sogar darüber hinaus gehen: Wir müssen nicht nur den Entscheidungsprozess bei unseren Kunden mit spannenden Inhalten begleiten. Wir müssen ihn am Laufen halten und echte Gründe liefern, warum der Status-Quo nicht besser ist als die Veränderung.
Kaum einer betrachtet dagegen, was das veränderte Verhalten intern beim Kunden bedeutet: Denn das Entscheiden in einer Gruppe von 6,8 Personen ist schwierig. Einer treibt den Prozess voran, ein anderer blockiert, wieder einer hinterfragt alles und fordert mehr und mehr Informationen ein. Nur wer ist derjenige, der die Entscheidung auf der Tagesordnung durchboxt? Dieser Mobiliser muss erkannt und bearbeitet werden – und kann jemand anderes sein als unser Inbound-Marketing-Kontakt.
Ich erhalte Ansichten, in denen ich sehen kann, wer alles im Zielunternehmen sich mit uns beschäftigt. Zudem bekomme ich z. B. einen konsolidierten Lead-Score, der mir einen anderen Blick nahelegt. Vielleicht interessiert sich niemand so eindeutig für uns, dass der berechnete Lead-Score einer Einzelperson über die gesetzte Schwelle steigt. Aber in der Gesamtheit alle Kontakte im Unternehmen kann es ja trotzdem sein, dass sie zusammen sehr interessiert erscheinen mögen.
Entscheidergremium mobilisieren
Entscheiden in Gruppen ist also nochmal komplexer als eine Entscheidung für ein erkärungsbedürftiges Produkt es ohnehin schon ist. Denn jeder, der in Entscheidergremien mitreden will und darf, muss mitgenommen werden. Und das werden – wie wir gesehen haben – immer mehr.
Wenn wir also ein Unternehmen bei seinem Entscheidungsprozess unterstützen und natürlich auch gegen unserer Wettbewerber gewinnen wollen, dann müssen wir uns intensiv mit Entscheidergremien und den verschiedenen Rollen (und damit meine ich nicht Positionsbezeichnungen) beschäftigen. Wer treibt die Entscheidung voran, wer blockiert sie? Wer hat viele Fragen, die beantwortet werden müssen? Und das hängt sich nun mal nicht daran, welchen Titel die Leute auf der Visitenkarte haben. Dafür braucht es eine Buying-Center-Analyse.
QUELLE DES BEITRAGSBILDS:
https://www.flickr.com/photos/nasacommons/17124636658/in/album-72157651060963685/