Der klassische Verkaufstrichter ist ein Fixpunkt, an dem sich viele moderne B2B-Online-Marketing-Ansätze orientieren. Allerdings ist diese Perspektive nicht für jedes Unternehmen sinnvoll. Warum das so ist und welche Rolle in dem Zusammenhang Key Account Marketing (auch: Account-based Marketing/ABM) spielt, ist Thema dieses Beitrags.
Den Key-Account im Blick
In den 1980er-Jahren hat sich in B2B-Unternehmen die Idee verbreitet, dass manche Kunden eine intensivere Betreuung verdienen. Für diese Schlüsselkunden bauten die Anbieter zunehmend ein Key-Account-Management innerhalb ihrer Vertriebsorganisation auf. Selbstverständlich ging es auch darum, die hochwertige Kundenbasis auszubauen – einerseits mithilfe von Key Account Sales (Key Account Selling), andererseits – jedoch in geringerem Maße – mit Key Account Marketing.
Für Premiumkunden sind schon seit Jahren die besten Sales Manager zuständig. Und auch im Marketing bauten die Anbieter dedizierte Expert:innen auf, die sich bei der Arbeit speziell auf attraktive Zielkunden fokussierten.
Diese Entwicklung hat in den letzten rund zehn Jahren aufgrund der digitalen Transformation im Marketing neuen Schwung erhalten.
Wie funktioniert der klassische Verkaufstrichter?
Um vertriebliche Erfolgschancen einzuschätzen und zu verfolgen, setzen Marketing und Vertrieb traditionell auf die sogenannte Sales Pipeline (auch: Verkaufstrichter oder Sales-Funnel). Anhand dieses Trichtermodells können Unternehmen nachvollziehen, an welchem Punkt sich ein potenzieller Kunde im Kaufentscheidungsprozess befindet. Auf dieser Basis werden diese Prozesse dann gestaltet.
Wer sich im Internet auf die Suche begibt, stößt schnell auf eine Vielzahl unterschiedlicher Funnel-Modelle. Wir von chain relations orientieren uns beim Online-Lead-Management (z. B. via Inbound Marketing) an einem vierstufigen Ansatz, der auf dem klassischen Modell des US-amerikanischen Software-Anbieters HubSpot basiert:
An welchem Punkt befindet sich ein Lead im Entscheidungsprozess?
Die Stufen im Trichtermodell helfen dabei zu erkennen, wie weit ein Lead bislang in seiner Buyer’s Journey gekommen ist (und welche Maßnahmen für dessen Weiterentwicklung geeignet sind):
· Awareness
Auf der obersten Stufe des Trichtermodells befinden sich Personen, die ein erstes Bewusstsein für ein Problem entwickelt haben und sich aktiv auf die Suche nach einer Lösung begeben. Im Online-Marketing gelangen diese Personen in der Regel in den Funnel, weil sie zur Zielgruppe gehören, d. h. weil ein Anbieter sie grundsätzlich gerne als Kunde gewinnen würde und sie erstes Interesse an den Inhalten des Anbieters zeigen.
· Interest
Die zweite Stufe erreichen Personen, die ein Content-Angebot heruntergeladen haben (z. B. ein Whitepaper). Sie konvertieren in diesem Moment zu einem Marketing-qualified Lead. Sie bestätigen dieses Interesse an einem Produkt oder Service zum Beispiel, indem sie auf das Lead Nurturing des Anbieters reagieren.
· Consideration
In dieser Phase bewerten die Entscheider:innen Lösungen und Anbieter, indem sie entsprechende Inhalte konsumieren. Sobald klar ist, dass ein Lead nicht nur Interesse, sondern konkreten Bedarf hat, wird er zum Sales-qualified Lead (SQL). Der potenzielle Neukunde wird folglich an den Vertrieb übergeben (inkl. aller über ihn vorhandenen Daten und Informationen), der ihn mit dedizierten Maßnahmen bearbeitet.
· Purchase
Im Idealfall rentiert sich der Aufwand, den Anbieter in den ersten drei Stufen betrieben haben. Dann wird aus dem SQL ein zahlender Kunde.
Warum ist das Trichtermodell nicht für jedes Unternehmen geeignet?
Lead Management erfordert Geduld und Durchhaltevermögen. Studien belegen, dass nur ein Bruchteil der generierten Leads tatsächlich zu Kunden wird. Der Rest entscheidet sich während seiner Buyer’s Journey anderweitig oder gar nicht.
Das bedeutet nicht, dass Methoden wie Inbound Marketing keine Hilfe sind. Allerdings gibt es Firmen, für die diese Form des Funnel-Marketings ungeeignet ist. Das hat mehrere Gründe:
Der Funnel ist nicht für B2B-Marketing optimiert
Die bekanntesten Modelle zum Verkaufstrichter stammen alle aus dem Vertrieb. Sie wurden von Sales-Expert:innen konzipiert, die sich dabei auf die Prozesse und Perspektiven des Verkaufs konzentrierten. Dazu beziehen sich die gängigen Modelle wie im B2C-Geschäft auf einzelne Personen, nicht auf Unternehmen bzw. Entscheidungsgremien/Buying Center. Das erschwert es, sich auf die Leads zu konzentrieren, die am besten für einen Abschluss geeignet sind.
Der Fokus liegt auf falschen Kennzahlen
Der klassische Verkaufstrichter verführt Unternehmen, sich eher auf die Masse als auf die Qualität der Leads zu konzentrieren. Zumal insbesondere das Marketing an Kennzahlen wie Conversions gemessen wird. Folglich investiert es seine Ressourcen verstärkt in die Lead-Generierung und vernachlässigt die Entwicklung der potenziellen Kunden (Lead Nurturing, Lead Scoring, Targeting etc.). Das Resultat: Die Kosten pro Lead (Cost-per-Lead) steigen, während der Sales mit dem Großteil der Kontakte nichts anfangen kann.
Funnel-Strategien sind nicht individuell
Sales-Trichter-orientierte Strategien richten sich an eine große Zahl potenzieller Kunden, für die mit Blick auf deren Buyer’s Journey (skizziert anhand von Kundeninterviews und Umfragen) Content-Bausteine und Nurturing-Workflows angelegt werden. Dies ist mit Blick auf den Umfang der Zielgruppe nur bedingt individuell möglich.
Key Account Marketing stellt den Verkaufstrichter auf den Kopf
Aufgrund dieser Schwächen sind klassische Funnel-Strategien in manchen Unternehmen nicht die beste Lösung. In manchen Fällen ergibt Key Account Marketing mehr Sinn.
Der Begriff Key Account bzw. Account-Based Marketing (ABM) stammt von dem Marktanalyseunternehmen ITSMA. Deren Definition von ABM lautet wie folgt:
„Treating individual accounts as a market in their own right“
Account-Based Marketing, der Name sagt es schon, richtet sich nicht an eine ganze Zielgruppe, sondern an singuläre Accounts. Das heißt: Jeder einzelne Key Account – entweder ein potenzielles oder ein faktisches Kundenunternehmen – wird in einer ABM-Kampagne jeweils individuell angesprochen.
Charakteristisch für ABM ist das Dogma „Flip the Funnel“. Der Ausdruck wurde bereits 2006 von Seth Godin verwendet, aber erst später mit Account-based Marketing verknüpft. Was er bedeutet, hat der US-Amerikaner Joseph Jaffe in seinem gleichnamigen Buch (2010) formuliert. Jaffe geht darin von der Prämisse aus, dass B2B-Unternehmen mit Funnel-Strategien einen Großteil ihrer Ressourcen in die falschen Kontakte investieren:
„If 80 percent of your revenue comes from repeat business, then why are you spending less than 20 percent on the 80 percent revenue contribution? What we see in the marketing world is this constant obsession with acquisition.”
[„Wenn 80 Prozent Ihres Umsatzes aus dem Wiederholungsgeschäft stammen, warum geben Sie dann weniger als 20 Prozent für die 80 Prozent Umsatzbeitrag aus? Was wir in der Marketingwelt sehen, ist diese ständige Besessenheit von der Akquisition“.]
Der Trichter wird zum Kegel
Der Gedanke, den Joseph Jaffe in seinem Buch formuliert hat, wird im Key Account Marketing konsequent gelebt (vor allem bei Strategic ABM). Anwender:innen fokussieren sich nicht auf die Generierung einer möglichst hohen Zahl an Leads, sondern auf die (Weiter)Entwicklung von Accounts, die aufgrund von Faktoren wie Bedarf oder Größe als Kunde prädestiniert sind. Das können Neu-, aber auch Bestandskunden sein.
Dementsprechend wird der Sales-Funnel im ABM umgedreht:
Zu Beginn ihrer Planung identifizieren Unternehmen alle Kontakte, die für sie besonders relevant sind. Neben der klassischen Lead-Generierung sind hier auch der Kauf von Kontaktdaten, die Recherche via Social Media (v. a. LinkedIn und XING) sowie die Erweiterung/Aktualisierung von Datenbeständen.
Anschließend versuchen Unternehmen – z. B. über Nurturing oder Google Ads – weitere Kontakte, die potenziell an einer Entscheidung beteiligt sind, zu erschließen und anzusprechen.
Der nächste Schritt setzt noch stärker auf Nurturing – anstatt aber nur einzelne Kontakte entsprechend ihres Themas zu entwickeln, machen sie es für alle Beteiligten. Und schließlich werden die Accounts an den Vertrieb übergeben.
Sobald er Kunde wurde bzw. das nächste Projekt platziert hat, wird er als Kunde gut betreut und ausgebaut. Und so geht es immer weiter.
Kundenzentrische Ansätze wie Customer-led Growth (CLG) gehen im Vergleich zu ABM sogar einen Schritt weiter. Beispielsweise haben Georgiana Laudi und Claire Suellentrop, die Entwicklerinnen von CLG, den Begriff „Forget the Funnel“ geprägt. Der Gedanke dahinter ist, dass Unternehmen sich im Funnel-Marketing (ganz gleich welcher Art) zu sehr auf ihre eigenen Verkaufschancen konzentrieren. Stattdessen sollen bei Customer-led Growth alle Maßnahmen, Botschaften und Prozesse konsequent darauf ausgerichtet werden, die Customer Experience potenzieller und bestehender Kunden zu verbessern. Sie wird zum entscheidenden Fixpunkt, an dem sich alle kundennahen Bereiche orientieren.
Fazit: Key Account Management ist auch für das Marketing wichtig
Key Account bzw. Account-based Marketing ist eine relativ junge Disziplin aus dem Bereich der Demand Generation, bei der nicht die Generierung von Leads, sondern die Entwicklung von Key Accounts im Mittelpunkt steht. Analog zur Aufgabe des Key Account Managements geht es darum, attraktive neue Schlüsselkunden zu gewinnen und die Geschäfte mit Bestandskunden auszubauen (Up- und Cross-Selling, Stärkung der Kundenbindung etc.). Dieser Fokus führt dazu, dass der Verkaufstrichter im ABM umgedreht wird.
Obwohl ABM eine andere Perspektive als klassische Lead-Generierung einnimmt, schließen sich beide Ansätze in der Praxis nicht aus. Bewährt hat es sich, Elemente beider Strategien zu kombinieren und so das Maximum aus den eigenen Anstrengungen herauszuholen.