Die Grundidee hinter Account based Marketing (ABM) ist, wichtige Zielkunden individuell zu bearbeiten. Von allen Spielarten wird diesem Anspruch nur das Strategic ABM gerecht. Wie „one to one“ ABM sowohl Marketing als auch Vertrieb verändert und wie es sich in der Praxis anfühlt, schauen wir uns in diesem Beitrag genauer an.
Account based Marketing und Customer Experience
„Treating individual accounts as a market in their own right.“
Diese kurze Definition, vorgelegt vom Marktanalyse-Anbieter ITSMA, beschreibt das Wesen von Account-based Marketing treffend. Bei ABM schneiden B2B-Unternehmen ihre Aktivitäten in Marketing und Vertrieb auf strategisch wichtige Zielkunden (Accounts) zu. Maßnahmen in den kundennahen Bereichen werden gebündelt und mithilfe von Software auf die Anforderungen und Präferenzen des Buying Comittee bzw. Entscheidungsgremium im Account ausgerichtet.
ABM ist eine Marketing-Strategie, die sich dem Bereich der Demand Generation (Nachfragegenerierung) zuordnen lässt. Es will die Customer Experience der Key Accounts möglichst positiv gestalten, Beziehungen zu Entscheider:innen hegen und pflegen. Dazu bei tragen u. a.
- auf die Accounts und deren Buying Center zugeschnittene Inhalte, Botschaften und Prozesse,
- datenbasierte Analysen (quantitativ und qualitativ) von Kundensituation und -verhalten sowie
- Teams, deren Fokus auf der Unterstützung weniger Zielkunden liegt. Sie stehen ihnen helfend zur Seite und beseitigen alle Hürden, die eine Kaufentscheidung verhindern könnten.
Die wichtigsten Ansätze für eine ABM-Strategie
ABM bedeutet, individuelle Marketing- und Vertriebsprogramme für wichtige Zielkunden zu gestalten. Wird dies konsequent umgesetzt, spricht man auch von Strategic ABM. Dieser Ansatz richtet sich an die wichtigsten Zielkunden, insgesamt selten mehr als 20 zentrale Bestands- und Neukunden. Diese Unternehmen sind häufig Konzerne oder gehören zu den größten Kandidaten in einem Marktsegment.
Da der 1:1-Gedanke nicht für jedes Unternehmen sinnvoll und leistbar ist, haben sich in den vergangenen Jahren „weichere“ Varianten etabliert. Sie konzentrieren sich nicht auf einzelne Unternehmen, sondern auf Kundengruppen.
Die beiden bekanntesten ABM-Hybride sind:
- Programmatic ABM:
Bei dieser Variante fokussieren B2B-Anbieter sich auf relativ grob definierte Account-Segmente. Anhand von Kriterien wie Branchenzugehörigkeit, Unternehmensgröße, technische Ausstattung oder „Job“ definieren sie eine Liste mit Hunderten oder Tausenden Ziel-Accounts. Die Personalisierung fällt auf diesem Level eher oberflächlich aus (z. B. auf eine Branche zugeschnittene Whitepaper, Webinare und Webseiten), während der Grad an Automatisierung relativ hoch ist. Die Folge sind Streuverluste, wie wir sie im Inbound Marketing kennen. - ABM Lite:
Der „One-to-a-few“-Ansatz richtet sich an eine kleinere Zahl gleichartiger Accounts. Das können zum Beispiel alle Maschinenbauunternehmen im Rhein-Main-Gebiet sein. Diese Eingrenzung eröffnet deutlich mehr Möglichkeiten, Marketing und Sales zu personalisieren. Das betrifft insbesondere die Verwendung von Intent Data und individualisiertem Tracking.
Was macht Strategic ABM einzigartig?
Beide ABM-Strategien helfen Unternehmen, B2B-Marketing und -Sales stärker auf die Anforderungen wichtiger Zielgruppen auszurichten. Der ursprünglichen Idee von Account based Marketing werden sie allerdings nur bedingt gerecht.
In seiner reinsten Form, dem strategischen ABM, realisieren Anbieter den alten Traum vom 1:1-Marketing. Bereits in den 1990-er Jahren definierten Don Rogers und Martha Rogers in „Enterprise One-to-One“ vergleichbare Ideen, die allerdings noch ohne die heutigen technischen Möglichkeiten auskamen. Nach diesem Verständnis ist jeder Key Account ein eigener Markt, den es zu erschließen gilt. Diese Perspektive bringt im Vergleich zur Hybrid- und Lite-Variante andere Prozesse und Arbeitsweisen mit sich:
- Die Grenzen zwischen Marketing und Vertrieb verschwinden fast vollständig. Mitarbeiter:innen aus beiden Teams arbeiten gemeinsam an den Accounts, verfolgen dieselben Ziele, nutzen dasselbe Datenset und stimmen sich regelmäßig über Fortschritte und Rückschläge ab. Der Kulturwandel, den ABM erfordert (hin zu einem Marketing & Sales Alignment) ist hier am stärksten zu spüren.
- Kommunikation und Content richten sich nicht an Kundensegmente, sondern an die Anforderungen von Interessengruppen und Einzelpersonen in einem Unternehmen. Es entstehen Inhalte, die einen Personenkreis von einem Dutzend oder weniger Menschen zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal erreichen müssen. Das ist aufwendig, zumal solcher Content keine lange Halbwertszeit hat.
- Neben dem Verkauf weiterer gleichartiger Leistungen an bestehende Kontakte kann es auch um die Erschließung weitere Abteilungen, Standorte oder Tochterfirmen in einem Großunternehmen sowie den Absatz anderer oder neuartiger Angebote im Gesamtkonzern gehen.
- Der Einsatz von Intent Data in Kombination mit persönlichen Informationen über die wichtigsten Entscheidungsträger:innen im Target Account (demografische Informationen, aktuelle & frühere Rolle, Bildungsgrad, Veröffentlichungen, Mitgliedschaften etc.) erzeugt eine Transparenz, an die sich Vertrieb und Marketing gewöhnen müssen. Darauf aufbauend Prozesse und Maßnahmen zu planen, ist etwas anderes, als dem eigenen Bauchgefühl zu folgen.
- Automatisierung spielt im Vergleich zum Programmatic- und Lite-Ansatz eine geringere Rolle. Zwar nutzen Anbieter auch im 1:1-Modell Prognosen und Forecasts, die auf KI-basierten Analysen basieren. Kommunikation und Prozesse sind hier aber stärker von manuellem Aufwand (Persönliche E-Mails, Social Selling etc.) geprägt.
Firmen benötigen für gutes Account based Marketing zwei Arten von Customer Insights: Zum einen Intent Daten, die Aufschluss über die Handlungen und Intentionen der Key Accounts im Entscheidungsprozess geben und sich Unternehmen zuordnen lassen. Zum anderen systematisch generierte Informationen über die Buyer’s Journey der Accounts (z. B. via Jobs-to-be-Done). Diese basieren auf Interviews mit Kunden, die dem Key Account ähneln oder aus diesen Bestandskunden stammen, und arbeiten heraus, warum Kunden sich für einen solchen Anbieter entscheiden. Im strategischen ABM befragen wir in diesem Kontext außerdem Entscheider:innen aus dem Zielaccount darüber, wie sie den Anbieter auch aus ihrer bisherigen Erfahrung heraus wahrnehmen.
Ein Beispiel für Strategic Account-based Marketing
Die Unterschiede zwischen den Ansätzen für ABM zeigen sich besonders beim Thema Content Personalisierung. Inhalte, die größere Kundensegmente ansprechen sollen, planen und erstellen wir im B2B-Umfeld auch im Rahmen des Lead-Managements. Strategic ABM hingegen erfordert ein Content Marketing, dessen Inhalte und Botschaften sich auf einzelne Kunden konzentrieren und sie auch im Bid-Management, das heißt als verkaufsunterstützende Dokumente zum Einsatz kommen.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis. Unsere Agentur unterstützte vor einigen Jahren einen Software-Anbieter bei der Entwicklung einer Content-Marketing-Strategie für seine wichtigsten Key Accounts. Das ABM-Programm umfasste u. a.
- dynamische Display-Kampagnen, die anhand von Intent Daten zum passenden Zeitpunkt den richtigen Interessengruppen in den Accounts angezeigt wurden,
- personalisierte Versionen der Website mit zu den Accounts passenden Inhalten, Themen und Logos,
- Registrierungsfrei verfügbare E-Books, die den Einsatz der Software in vergleichbaren Organisationen beschreiben und den Mitgliedern der Buying Center via E-Mail und LinkedIn empfohlen wurden,
- Blogbeiträge, die sich auf die jeweilige Situation der Zielkunden beziehen,
- auf die Accounts ausgerichtete Webinare, in denen die Teilnehmer:innen Fragen stellen konnten und
- Sonderaktionen wie Einladungen zu persönlichen Demo-Terminen.
Mit diesem Mix an Marketingmaßnahmen stellte sich der Anbieter auf die Customer Journey seiner wichtigsten Target Accounts ein. Dadurch gelang es ihm nicht nur, den einen oder anderen großen Fang zu landen. Zugleich konnte er dank der individuellen Ansprache sein Netzwerk innerhalb des Accounts stärken.
Wo lohnt sich der Ansatz im B2B-Umfeld für Marketing und Vertrieb?
Strategisches Account-based Marketing ist keine kurzfristige Kampagne, sondern ein langfristig ausgelegtes Programm, das sich im B2B-Bereich nicht für jedes Unternehmen eignet. Es ist ressourcenintensiv und erfordert eine Zusammenarbeit zwischen Vertriebs- und Marketing-Team, die in dieser Form neu und unbekannt ist. Sind die Gräben zwischen beiden Abteilungen zu groß (z. B. in Sales-lastigen Organisationen), wird es schwer, dieses Niveau zu erreichen.
Darüber hinaus muss sich der Aufwand lohnen. Strategic ABM investiert Vertriebs- und Marketingressourcen in eine kleine Anzahl hochwertiger Kunden, meist 5 bis 15 Accounts. Die Marge, die Anbieter mit diesen Firmen verdienen, sollte also entsprechend hoch sein. Schließen Anbieter eine Vielzahl an Geschäften mit kleineren Kunden ab, sind Programmatic oder Lite ABM vermutlich die besseren Alternativen.
Aktuell kommt der Ansatz vor allem in Technologie- und Softwareunternehmen sowie im Bereich unternehmensnahe Dienstleistungen (Beratungsunternehmen etc.) zum Einsatz. Diese Anbieter sind dafür aufgrund ihrer komplexen Angebote, langen Verkaufszyklen und großen Zielkunden prädestiniert. Meist nutzen sie 1:1-ABM, um Geschäfte mit Schlüsselkunden auszubauen, deren Customer Lifetime Value zu erhöhen und die Beziehungen zu den Entscheider:innen im Account zu verbessern.
Strategisches ABM ist ein Kulturwandel
ABM ist in jeder Variation mit neuen Zielen, Methoden und Prozessen verbunden. Im 1:1-Modell ist diese Veränderung am extremsten. Das beginnt bei der Organisation. Die meisten Unternehmen bilden ein Revenue Operations (RevOps) Team, in dem Mitarbeiter:innen aus dem Key Account Sales mit Marketern an einzelnen Zielkunden arbeiten. Bestehendes Key Account Management wird dabei dauerhaft durch die Perspektive der B2B-Marketer erweitert.
In diesen Teams begegnen sich beide Bereiche auf Augenhöhe. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie verschmelzen. Das entwickelt sich leicht kontraproduktiv, denn in dem Fall setzen sich fast immer die Präferenzen des Vertriebs durch. Stattdessen geht es eher darum, eine Schnittstelle zwischen den Abteilungen zu kreieren, gleichzeitig aber deren singuläre Stärken (Marketing: 1:n-Denken, Sales: 1:1-Beziehungen) zu wahren.
In diesem Kontext ist wichtig, die Initiative für Strategic ABM nicht allein aus dem Marketing heraus voranzutreiben. Dafür fehlt der Abteilung in den meisten B2B Unternehmen das Standing. Stattdessen müssen Sales und Geschäftsleitung dahinterstehen und die neue, wichtigere Rolle des Marketings akzeptieren. Es wird künftig nicht mehr an oberflächlichen Kennzahlen wie Klickraten, Page Views oder generierten Leads gemessen. Es nutzt die gleichen Daten wie alle, verfolgt dieselben Ziele und integriert sich in einen Bereich, der bis dahin die Domäne des Sales war. Diese Veränderung muss von Anfang an allen klar und recht sein.
Um ein angenehmes Kundenerlebnis zu bieten, braucht es zufriedene Mitarbeiter:innen (Stichwort Employeer Experience). Beim Account based Marketing ist es leider manchmal so, dass Marketer im RevOps-Team „klein gehalten“ werden und Programme nach den Vorstellungen des Vertriebs entstehen. Das verschlechtert nicht nur die Stimmung der Marketer. Es wirkt sich auch negativ auf die Atmosphäre im Team aus. Daher sollten Führungskräfte auf eine Balance achten. Ziel ist ein Miteinander, das von Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz geprägt ist.
Zusammengefasst
Halten wir noch einmal fest:
- In den vergangenen Jahren haben sich drei Formen von Account based Marketing etabliert. Die ursprüngliche Idee, Accounts individuell zu bearbeiten, realisiert nur das Strategic ABM.
- Personalisierung erfolgt dabei auf Account-Ebene. Das verringert die Halbwertszeit von Inhalten und Kampagnen. Automatisierung spielt dabei im Vergleich zu anderen ABM-Ansätzen eine geringere Rolle.
- Zum Einsatz kommt es vor allem bei Technologie- und Professional-Services-Anbietern. Viele nutzen es, um Geschäfte mit wichtigen Bestandskunden zu fördern, Beziehungen aufzubauen und Kontakte zu pflegen.
- Der Kulturwandel, den ABM mit sich bringt, ist im 1:1-Ansatz am stärksten ausgeprägt. Das Key Account Management wird um Marketingkompetenzen erweitert, wobei der Sales nicht mehr die alleinige Führung über wichtige Zielkunden übernimmt. Bestehende Hierarchien im Unternehmen werden hinterfragt und verändert.