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Customer-led Growth, Lead Generation & Demand Generation für B2B-Unternehmen

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Leseprobe: „Lasst die Kunden kommen – Ein Business-Roman über Inbound Marketing und Account-based Marketing“

2. Kapitel: Digital 212223, von Torsten Herrmann

Einen Tag später hat Jan Messer ein wichtiges Meeting mit seinem Chef. Es geht um die strategische Ausrichtung des Marketings. Und die stellt unseren Protagonisten vor eine große Herausforderung.

14:00 Uhr. Nach dem Mittagessen war ich für einen kleinen Spaziergang am Mainufer und habe ein wenig über mein Leben und meine Frau nachgedacht. Jetzt stehe ich pünktlich in der Tür des Chefbüros. Iring Fleischer – ein fast 60-jähriger, nach wie vor sehr robuster Mann mit grauen Locken und dichtem Schnauzbart – sitzt hinter seinem gewaltigen Schreibtisch und signiert Dokumente. Es ist der erste Tag nach seinem Urlaub. Die Termineinladung in meinem Outlook las sich unkonkret: ,Marketing nächstes Jahr‘. Von solchen Terminen nach dem Urlaub des Chefs habe ich in meiner Karriere einige überstanden. Sein Enthusiasmus ist gelegentlich etwas anstrengend, verfliegt aber nach drei bis vier Tagen.

Lasst die Kunden kommen – Ein Business-Roman über Inbound Marketing und Account-based Marketing

„Kommen Sie herein, Herr Messer“, brummt er ohne aufzublicken.

Zwei Meter neben seinem klotzigen Büromöbel hockt ein blonder Junge auf dem Boden. Vor ihm ein volles Glas Wasser. Daneben eine leere Pommes-Schale mit Ketchup-Resten. Um ihn herum diverse Spielsachen.

„Es stört Sie doch nicht, dass mein Enkel im Raum ist?“, fragt er mit seinem leicht sächsischen Akzent. Ohne eine Antwort abzuwarten, fügt er hinzu: „Edgar musste heute Vormittag zum Schularzt. Kommt bald in die Schule. Ich hab‘ ihn hingebracht. Meine Tochter hütet das Bett. Husten, Schnupfen, Heiserkeit.“

„Wird bald eingeschult, der junge Mann“, sage ich. Was Besseres fällt mir nicht ein. Herr Fleischer schreitet zur schwarzen Ledersitzgruppe und schiebt mir einen Sessel entgegen. Er nimmt gegenüber auf dem Zweisitzer Platz.

Der Enkel meines Chefs hat bisher keine Notiz von mir genommen. Ich setze mich und sehe, wie der Junge seinen rechten Zeigefinger in den Ketchup taucht. Der kleine Edgar schaut mich durch seine rote Kinderbrille mit großen blauen Augen an: „Eine Eins Plus ist eine sehr gute Note, gell? Und eine Sechs eine voll schlechte!“

„Genau“, antworte ich.

Er tippt mit dem Zeigefinger auf seine Brust. „Ich werde immer eine Eins Plus haben.“ Er taucht seinen Ketchup-Finger in das Wasser, das eine rötliche Färbung annimmt. Er greift sich das Glas und läuft auf mich zu: „Das ist Ketchupwasser. Habe ich erfunden. Schmeckt voll gut. Probier mal!“

Herr Fleischer schmunzelt und schreitet ein. Er nimmt seinem Enkel das Glas ab, stellt es auf den Schreibtisch und bedeutet ihm, er solle spielen. Edgar gibt seinem Bagger einen Schubs und schielt in meine Richtung. „Bist Du gerne in die Schule gegangen?“, fragt er mich.

Ich habe die Schule in keiner guten Erinnerung. Eine Zeit lang war ich überzeugt, sie sei etwas für angepasste Duckmäuser. Hat sich meine Meinung geändert? Ich bin nicht sicher. Aber was interessiert das den Enkel meines Chefs? Dem reibe ich meine Schulabneigung lieber nicht unter die Nase. Stattdessen antworte ich, ohne zu erröten: „Ich war als Kind immer brav und bin ausgesprochen gerne in die Schule gegangen.“

„Du warst so brav. Du warst sogar auf der Mädchenschule“, kichert Edgar.

„Das ist aber nicht sehr nett“, antworte ich. Was für ein ungezogener Frechdachs. Doch das behalte ich selbstverständlich für mich.

Iring Fleischer, der offenbar einen Sinn für kindlichen Humor hat, fängt lauthals an zu lachen. Seinem Enkel erklärt er: „Ich fand die Schule auch toll. Aber spiel jetzt mit deinem Bagger. Herr Messer und der Opa haben was zu bereden.“ Edgar widmet dem gelben Bagger nun seine volle Aufmerksamkeit.

Herr Fleischer fragt mich, ob er mir eine Tasse Kaffee oder einen Espresso bringen könne. Ich schüttele den Kopf. „Nein, danke! Hätten Sie bitte ein Glas Wasser für mich?“

„Ketchupwasser könnte ich anbieten.“ Iring Fleischer lacht laut über seinen Scherz. „Edgars Ketchupwasser!“. Er legt den Kopf schief, zieht die buschigen, grauen Augenbrauen in die Höhe und ergänzt: „Vielleicht wird mein Enkel mal ein bekannter Comedian? Mit solchen Ideen!“

„Oder er strebt eine Karriere als Produktentwickler für Getränke an“, werfe ich ein.

„Ketchupwasser. Der Junge braucht noch ein bisschen, aber dann …“ Er lacht erneut, geht zu einem Tisch neben der Bürotür und kehrt mit einem Glas und einer geöffneten 0,25-Liter-Flasche zurück. Beides stellt er auf den niedrigen Tisch zwischen uns.

Ich gieße mir einen Schuss ins Glas und nippe kurz daran. Edgar schiebt seinen Kunststoffbagger hinter sich, schaut mich an und fragt: „Warum hast Du so komische Anziehsachen an?“

„Meinst Du meinen dunkelblauen Nadelstreifenanzug? Oder findest Du die Krawatte komisch?“

Edgar schweigt. An seinen Enkel gerichtet erklärt Iring Fleischer: „Herr Messer ist einer der wenigen, der hier Anzüge trägt und zumindest aussieht wie ein echter Manager“, erklärt der Kapitän. Intern nennen wir Fleischer den Kapitän.

„Nichts gegen Strickpullover, Herr Fleischer. Ich bin mir jedenfalls durchaus bewusst, dass ich in einer Softwareschmiede arbeite, in der Menschen in Anzügen eine Randgruppe bilden.“

„Da übertreiben Sie. Wir haben dreihundertneunundachtzig Beschäftigte weltweit, viele Entwickler, die meisten mit Pullovern, aber eben auch Leute wie Sie, mit schicken Anzügen.“

„Ich hab’s nicht so mit Zahlen.“

Herr Fleischer grinst. „Sie kommen aus einer Künstlerfamilie, ich weiß.“

„Jetzt übertreiben Sie.“

„Inwiefern?“

„Meine Mutter war und ist auch im Rentenalter Hausfrau. Vor ihrer Heirat Arzthelferin. Mein Vater Grafikdesigner. Zum Künstler wurde er erst später.“

„Was malt er denn? Moderne Kunst? Abstrakte Bilder?“

„Erdbeertorten.“

„Erdbeertorten?“

„Ja, Erdbeertorten. Meistens. Manchmal auch Kirsch-, Himbeer- oder Heidelbeertorten.“

„Ach was. Ausschließlich rotfarbige Torten?“

Heidelbeeren sind blau, aber das ignoriere ich geflissentlich. „Auf Anfrage malt er auch mal eine Mandarineneierlikörtorte.“

„Aha. Und wie viel kostet solch ein Augenschmaus, wenn ich fragen darf?“

„Kommt auf die Größe an. Die meisten Tortenbilder liegen zwischen fünf- und zehntausend Euro, schätze ich. Ohne Rahmen“, erkläre ich.

„Wir haben die falschen Berufe, was?“

„Ach, na ja, es könnte schlimmer sein. Aber ich sitze sicherlich nicht hier, um mit Ihnen über meine Familie, Erdbeertortenbilder oder Künstlerklischees zu reden?“

„Richtig. Sie wissen, ich bin kein Get-down-to-Business-Typ.“

„Sie grooven sich lieber erst etwas ein.“

„Schön formuliert. Hab‘ ich Ihnen mal erzählt, wie ich – ich hatte mein Diplom in Nachrichtentechnik gerade in der Tasche – wie ich zusammen mit meinem Kumpel Fred Krömmer im alten VW-Bus meines Patenonkels bei 50 Grad Celsius und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit den Amazonas entlang …“

„Ja, die Geschichte ist mir bekannt.“ Oh je, wenn er den Amazonas-Trip erwähnt, wird’s unangenehm. Budget-Kürzungen oder so was.

Herr Fleischer blickt mich erstaunt an. „Ach ja, die Story kennen Sie?“

„Ja. Was ich viel interessanter finde: Sie haben doch kurz nach dem Amazonas-Abenteuer Alkor Solutions gestartet?“

„Nicht kurz nach der Reise. Zwei oder drei Jahre später war das. Drei, glaube ich. Ich hatte zunächst bei IBM angeheuert und dafür mein Informatik-Studium abgebrochen. Da habe ich viel gelernt und ordentlich verdient. Drei Jahre nach dem Amazonas hab‘ ich dann noch immer wie ein Student gelebt. In einer Dreier-WG. Jeden Groschen hab‘ ich gespart. War eine schöne Zeit. Daher will ich betonen: IBM und der Amazonas waren mein Harvard und mein Yale. Alkor, den Namen haben wir erfunden, und los ging‘s.“

„Haben Sie dann gleich eine Lösung für die Erfassung von Maschinen- und Betriebsdaten entwickelt?“

„So in etwa. Wobei sich seitdem natürlich einiges getan hat. Über die Funktionen unserer ersten Software kann ich heute nur noch lächeln. Heute haben wir unsere beiden Produkte MDE+ und BDE+. Die brauchen sich auf dem Markt vor niemandem zu verstecken.“

Ich werde langsam ein wenig ungeduldig. „Herr Fleischer, kommen wir zur Sache. Warum sitze ich hier?“

„Na schön, jetzt hab‘ ich mich warmgeredet. Sie sind der Erste heute, aber sicher nicht der Letzte. Nach Ihnen spreche ich mit der Vertriebsleiterin, da ist die Frau Seidel an der Reihe.“

„Ach ja.“

„Heute führe ich den ganzen Tag Gespräche. Stets das gleiche Thema, Herr Messer. Ich habe mir ja sieben Tage Auszeit gegönnt. Nicht nur für mich, sondern auch für das Unternehmen. In einer Woche Uckermark hatte ich eine Menge Zeit, um nachzudenken und ein paar Bücher zu lesen. Sonst gibt es dort wenig zu tun. Anstoß dafür war vor einigen Wochen ein Flug von Berlin nach Frankfurt – ich weiß, das ist kein weiter Weg, aber an diesem Tag musste es schnell gehen. Also bitte keine Flugscham. Ich saß neben einem jungen Projektmanager. Agile Methoden, all sowas. Wir kamen ins Gespräch. Ich genieße es, mit Millennials zu reden, weil sie eine andere Perspektive aufs Leben mitbringen. Ich nehme auch gerne die Mentorenrolle ein. Aber der junge Mann hatte an dem Tag nichts von mir zu lernen, sondern ich von ihm.“

„Was denn zum Beispiel?“

„Wir müssen digitaler werden. Da gibt es kein Vertun. Das gilt für alle Abteilungen. Das ist mir in den vergangenen sieben Tagen noch klarer geworden. Ich wünsche mir, dass ein neuer, digitaler Wind durchs ganze Unternehmen weht. Ich habe dem Programm einen Namen gegeben. Macht man ja heute. Wir nennen es Digital 212223!“

„Digital 212223? Seien Sie mir nicht böse, Herr Fleischer, aber das klingt wie ein Abzählreim beim Versteckspiel“, gebe ich zu bedenken.

„Das ist der Name! Digital 212223. Das vergisst keiner mehr“, belehrt mich der Kapitän. „Wie die Jahreszahlen, in denen wir an dem Programm arbeiten. In der Softwareentwicklung, im Qualitätstest, in der Personalabteilung, im Vertrieb und auch im Marketing. Ja, sogar in der Buchhaltung. Wir starten sofort, setzen in 2021 um, optimieren in 2022 und führen es 2023 zum endgültigen Erfolg. Schauen Sie, Herr Messer: Unser Marketing ist mir zu – wie soll ich es beschreiben – zu … altbacken, zu traditionell. Broschüren-Marketing. Das gefällt mir nicht. Wir müssen moderner werden. Disruptiv. Unser Marketing ist noch analog.“

„Mein Plattenspieler ist auch analog. Der spielt jeden CD-Player an die Wand. Das kann ich Ihnen flüstern. Digital ist nicht alles, wenn Sie mich fragen.“

„Das sehe ich vollkommen anders, Herr Messer. Digital ist alternativlos. Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel. Digitales Marketing! Das bringt Alkor Solutions nach vorne.“

„Digital 212223. Das next big thing bei Alkor Solutions.“

„Ähm, ja. Und … und aus inhaltlicher, aus programmatischer Perspektive gibt es hier keine Alternative. Nicht, wenn wir nach vorne wollen. Und das wollen wir ja. Alle Welt redet von Digitalisierung. Unsere Kunden wollen digitaler werden. Und wir transformieren uns für und mit unseren Kunden in die digitale Zukunft!“

„Das ist alternativlos, sagen Sie, Herr Fleischer?“

„Richtig. Und bitte, Herr Messer, Sie müssen sich nur bei den Wettbewerbern umschauen. Nehmen wir einmal Anaquonda Solutions. Besuchen Sie mal deren Webseite. Da hält der unerträgliche Ludolfus Webinare und erklärt den Kunden, worauf es heute in smarten Fabriken ankommt. Einmal, an Karneval, da spricht er das ganze Webinar über auf Kölsch. Das ist – gebe ich ungern zu – wirklich lustig. Die kommen aus Bergheim, das liegt hinter Köln. Die Videos gibt es auf YouTube. Das schauen sich die Leute an, über 400, die hören sich die Sicht von Lukas Ludolfus von Anaquonda über MDE an. Und wir?“

„Wir haben auch eine richtig schicke Webseite. Aber der Vertrieb behauptet immer, damit verkaufen wir nichts. Relevant sei nur, was die Verkäufer erklären, wenn sie mit dem Interessenten zusammensitzen. Finde ich etwas unfair. Wenn sie wenigstens die neuen Hochglanzbroschüren mitnehmen würden …“

„Vergessen Sie Ihre Broschüren! Unsere Verkäufer finden jedes Mal eine Erklärung, warum es wieder nicht geklappt hat. Immer öfter höre ich, dass sie bei potentiellen Kunden anrufen und es heißt, dass die Firma schon eine neue Software habe. Ohne, dass wir etwas davon mitbekommen hätten. Und ständig höre ich von diesem neuen Wettbewerber, Clarios aus den USA. Aber unser Hauptgegner ist und bleibt Anaquonda. Jeden Morgen stehe ich auf und überlege, wie wir denen das Leben schwer machen können. So wie die uns das Leben erschweren. Herr Messer, das muss sich ändern, ich will öfter gewinnen“, fordert der Kapitän unmissverständlich.

„Digital 212223soll das ändern?“

„Ja, mein Gott, ja.“

„Digital 212223, gut. Aber, mit Verlaub, was erwarten Sie von mir?“, frage ich vorsichtig nach. Mir schwant, dass es Fleischer mit dem Thema wirklich ernst ist.

„Lassen Sie sich was einfallen. Sie sind der Marketingleiter. Wir müssen moderner werden. Und gegen die Wettbewerber anstinken. Nicht mehr und nicht weniger. Verstehen Sie? Wir müssen die DNA unseres Marketings verändern. Die DNA des Unternehmens, Herr Messer! Auch im Vertrieb, in der Softwareentwicklung, im Service und in der ganzen Alkor. Das ist der springende Punkt.“

„Das ist der Punkt?“

„Machen Sie nicht so ein begriffsstutziges Gesicht! Ich habe hohe Ziele, Herr Messer. Ich will, dass auch Sie hohe Ziele haben. Ich wünsche mir eine deutliche Umsatzsteigerung. Und ich will größere Kunden gewinnen. Wir sind gut vertreten bei Industrieunternehmen bis 500 Mitarbeitern. Die Firmen sind ähnlich groß wie wir. Da versteht man sich, von Geschäftsführer zu Geschäftsführer. Das reicht mir aber nicht mehr. Ich möchte, dass wir zunehmend Konzerne angehen, die großen Fische ins Visier nehmen. Haben Sie Moby Dick gelesen?“

„Na ja, die erste Hälfte der Jugendausgabe, mit 16. Und den Film habe ich gesehen, den mit Gregory Peck“, gebe ich zerknirscht zurück. Ich kenne seine Vorliebe für den Roman von Herman Melville. Er hat mir gegenüber oft genug davon geschwärmt. Trotzdem kam es mir nie in den Sinn, die knapp 900 Seiten lange Originalausgabe in die Hand zu nehmen.

„Moby Dick erklärt Ihnen das alles. Und es erklärt Ihnen den Wettbewerb. Mann gegen Wal. Wir wollen den weißen Wal finden, jagen und am Ende an Bord hieven. Und danach noch einen und noch einen. Ohne dass sie uns in die Untiefen ziehen, logisch.“

„Marketing ist keine Walfischjagd, Herr Fleischer.“

„Darum geht es nicht. Moby Dick gibt die Antworten auf alle Fragen des Lebens. Und der Wirtschaft. Glauben Sie mir! Wissen Sie, was genauso wie Digital 212223 drei Jahre dauerte? Eine Walfischjagd zu Zeiten Herman Melvilles. Solange waren die meistens unterwegs, bis sie mit reicher Beute in ihrem Heimathafen Nantucket einliefen. Sagen Sie also nicht, dass die Zeit zu knapp bemessen sei!“

Iring Fleischer nimmt sich sein Glas, trinkt einen Schluck und schaut bedeutungsschwanger zu seinem Enkel. Dann dreht er sich wieder zu mir rüber und redet weiter. Weniger erregt als bei seiner Rede über sein offensichtliches Lieblingsbuch.

„Wissen Sie, Herr Messer, wenn ich Ihre Kollegen auf der Leitungsebene frage, was das Marketing den ganzen Tag treibt, dann höre ich ‚schöne Bilder‘. Das greift meiner Meinung nach deutlich zu kurz. Ich glaube nicht, dass Sie und Ihre Kollegen einfach nur vor sich hin muddeln. Aber Sie müssen jetzt deutlich zeigen, was Sie drauf haben, wozu Sie da und fähig sind. Dass Sie strategisch mitspielen und Dinge nicht nur operativ schön umsetzen. Zurück zur neuen DNA: Die Leute, besser gesagt die Entscheider in der Produktion, die müssen uns online finden, Herr Messer, und denken: Mensch Meier, diese Alkor, die sind ja spannender als … als …“

„Moby Dick?“

„Ja, meinetwegen.“

„Aber Herr Fleischer, genau das tun wir doch bereits im Marketing. Wir sorgen dafür, dass die Leute da draußen von Alkor hören. Sie bekommen die wichtigsten Informationen über MDE+ und BDE+, unser Bekanntheitsgrad steigt, wir machen Mailings, besuchen Messen und kümmern uns darum, dass Alkor in den Fachmedien steht, die Marke bekannter wird.“

„Nein, das ist mir zu wenig. Schauen Sie, was ist unser größtes Problem momentan?“

„Zu wenig neue Kunden? Nicht genug Umsatz?“

„Genau. Wir unterschreiten dieses Quartal den Umsatz des vorherigen Quartals. Und im vorherigen Vierteljahr lagen wir unterhalb des vorangegangenen Vierteljahres. Wir schrumpfen. Das müssen wir aufhalten. Dringend. Da sind Sie gefordert, Herr Messer. Sonst erreichen wir das nicht. Das ist der Mittelteil, nach dem Sie fragen. Ihre Aufgabe. Nicht meine.“

„Die Marketing-DNA muss mutieren. Ich soll sie mutieren.“

„Sie müssen Ihre Komfortzone verlassen. Dem Kühnen, Herr Messer, lächeln die Götter zu.“

„Ist das so?“

„Aber ja. … Ihre Komfortzone sind Broschüren, Mailings und, Pardon, schöne Bildchen. Da müssen wir raus, da müssen Sie raus! Wohin Sie sich bewegen müssen? Dahin, wo die Kunden sind, wo wir mehr verkaufen, mit Ihrer Hilfe. Wissen Sie, ich habe im Urlaub ein interessantes Buch gelesen. ‚Silicon Germany. Wie wir die digitale Transformation schaffen’.“

„Wir?“

„Ja, wir, hier in Deutschland, aber auch wir, die Alkor“, erklärt der Kapitän.

„Ach ja?“

„Ja. In dem Buch geht es darum, dass wir alles ändern müssen. Technologie reicht nicht. Wissen Sie, früher dachten wir Ingenieure, das beste Produkt, das setzt sich durch. Ohne Marketing. Und der Vertrieb ist nur dazu da, die Unterschriften abzuholen. Aber das stimmt nicht. Das stimmte nie. Wir müssen dafür sorgen, dass wir das Produkt zum Kunden bringen. Das steht da. Autor ist Christoph Keese, dieser ehemalige Chefredakteur der Financial Times. Der war lange im Silicon Valley. Der wird wissen, wovon er redet!“

„Das glaube ich“, stimme ich zu und verschweige, dass die FT Deutschland ein erfolgloses Unterfangen war.

„Anderes Beispiel gefällig? Der neue Co-Chef Christian Klein von der SAP kürzlich auf Spiegel Online. Da sagt er, dass die Unternehmen in Deutschland vor lauter Angst die Chancen der Digitalisierung verpassen. Obwohl wir eine sehr gute Ausgangslage haben. Recht hat er! Im Anschluss habe ich noch ein Buch gelesen. Erst den Keese, um zu verstehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen, wenn wir von digitaler Transformation, Industrie 4.0 und all dem reden. Das zweite Buch war über modernes, vor allem digitales Marketing: Philipp Kotler, dürften Sie aus Ihrem Marketingstudium kennen!“

„Sie wissen doch, dass ich kein Marketing studiert habe.“

„Ha, genau, haben Sie nicht! Alle denken, beim Marketing könnten sie mitreden. Also kann ich das auch. Auf jeden Fall ist Kotler der Marketing-Papst. Und der sagt: Produktzentrisches Marketing ist die Vergangenheit. Das ist Marketing 1.0. Das ist überholt, heißt es in dem Buch.“

„Das ist altmodisch?“

„Ja, altmodisch! Wer produktzentrisches Marketing betreibt, hat den Schuss nicht gehört. Philip Kotler. Der ist bei Marketing 4.0, so heißt sein Buch. 4.0, nicht 1.0 wie bei uns. Hat mir ein Freund aus meinem Sportverein empfohlen. Da geht es darum, sich an die veränderte Customer Journey in der digitalen Wirtschaft anzupassen. Customer Journey! So müssen wir heute reden! Und dabei steht der Kunde im Mittelpunkt, nicht das Produkt. Was machen wir, Herr Messer? Broschüren-Marketing! In Hochglanz! Wir reden ständig über unser MDE- und unser BDE-System. Wie toll dieses Modul ist, wie fantastisch jenes Feature. Das macht man heute nicht mehr. Das ist Schnee von gestern.“

„Wir verkaufen BDE- und MDE-Software, die erfassen Betriebs- und Maschinendaten, Herr Fleischer. Logisch, dass sich in unseren Broschüren alles um diese Produkte dreht. Was soll da sonst drin stehen?“

„Produktzentrismus ist out, Herr Messer. Sie fangen ab heute an, vom Kunden her zu denken! Verstehen Sie? Vom Kunden her. Das ist heutzutage angesagt. Und wir verschlafen diesen Trend. Die Amerikaner leben es uns vor. Die sind uns locker fünf Jahre voraus. Und die Chinesen auch. Wir sind die Schlafmützen …“

„Was soll denn das heißen: vom Kunden her denken? Ich hab‘ drei Semester Archäologie studiert und …“

„Ach ja? Ich weiß, dass Sie ein ziemlich erfolgreicher Kundenberater waren, bevor Sie zu uns kamen. Bei dieser Werbeagentur auf der Hanauer Landstraße, wenn ich mich richtig erinnere.“

„Ja, stimmt. Bei Harper Clint 49 war ich. Davor hab‘ ich studiert. Verschiedenes. Auch anderthalb Semester Ethnologie und ein Semester Soziologie.“

„Aha. Orchideenfächer“, frotzelt Fleischer.

„Das bestreite ich nicht. Worum es mir geht: Als der Ethnologie-Professor mir meine Hausarbeit zurückgab, schüttelte er den Kopf und ermahnte mich: ‚Sie müssen ethnologisch denken, Herr Messer!‘ Die Soziologie-Professorin gab mir meine Arbeit zurück, runzelte die Stirn, und wieder das Gleiche: ‚Herr Messer, Sie müssen soziologisch denken!‘“

„Kommen Sie zum Punkt!“, fordert mich der Kapitän auf.

„Der Punkt ist der, dass ich mich damals gefragt habe: Wie geht das? Ethnologisch denken oder soziologisch oder archäologisch. Ich weiß nicht, wie man das macht. Ich kann nur logisch oder unlogisch denken.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“, fragt Fleischer nun schon deutlich ungehalten. Ich merke, dass ich meine Skepsis noch deutlicher rüberbringen muss.

„Vom Kunden her denken. Kundenzentrisch denken. Das erinnert mich daran. Das sagt sich so leicht. Aber was heißt das denn? Sie lesen in einem Managementbuch, man müsse heutzutage vom Kunden her denken, und sie übernehmen das. Damit kann ich nicht viel anfangen. Ich meine …“

„Beschäftigen Sie sich damit. Googeln Sie. Besuchen Sie einen Kongress, fragen Sie Ihre Freunde. Sie sind der Marketingleiter. Ich wiederhole mich nicht. Ich kann und will nicht Ihren Job machen. Wir müssen uns digitalisieren. Das ganze Unternehmen! Punktum und basta! Das verschafft uns endlich neue Wettbewerbsvorteile!“

„Einverstanden. Digital 212223. Kundenzentrisches Marketing. Ich hab’s mir notiert.“

„Was brauchen Sie noch von mir?“

„Was fehlt, sind klare Ziele. Woran werde ich gemessen?“

„Sehr gut, Herr Messer. Sie wollen Ziele? Dann gebe ich Ihnen welche. Die sind noch nicht final, darüber können wir nochmal reden. Aber die Richtung kann ich definieren und die hat drei Dimensionen. Erstens: Ich wünsche mir eine Umsatzsteigerung im zweistelligen Bereich.“

„Zweistellig?“

„Zehn Prozent plus. So klarer?“

„Hatte Alkor das schon mal, zehn Prozent plus?“, frage ich vorsichtig nach.

„Sicher. In den Anfangsjahren bei jedem Jahresabschluss. Sieben Mal in Folge.“

„Ja, aber damals war die Firma kaum größer als die Adrett-Reinigung bei mir zu Hause um die Ecke.“

„Wie auch immer: zweistelliges Wachstum beim Umsatz. Genauer können wir das noch definieren. Zweitens: Ich wünsche mir, dass wir mehr Unternehmen dazu krächten, sowohl MDE+ als auch BDE+ zu kaufen. Beide Lösungen ergänzen sich optimal und es nervt mich, wenn ich beim Kunden immer wieder andere Produkte als unsere zu sehen bekomme. Das müssen wir noch quantifizieren. Drittens habe ich schon genannt: Wir müssen raus aus der Mittelstandsfixierung. Das sind tolle Kunden, aber der Aufwand in der Akquise ist im Verhältnis zum Umsatz zu hoch. Das Gleiche gilt für die Implementierung der Systeme. Daher wünsche ich mir, dass wir mehr in Konzerne reinwachsen. Ich werde mit Frau Seidel eine Liste definieren. Alle Firmen, die wir gewinnen wollen.“

„Mit der Marketing-Harpune?“

„Mit der Vertriebs-Harpune! Das Marketing muss da mithelfen. Das sind die drei Zieldimensionen. Ich will Ihnen gegenüber ehrlich sein. Wenn Umsatz und Gewinn auf Sicht nicht steigen, verkaufe ich die Firma. So sieht’s aus.“

„Echt? Ihr Lebenswerk verscherbeln?“, frage ich erstaunt.

„Unternehmen werden ständig verkauft, Herr Messer. Das sind normale Vorgänge.“

„Klingt nach echter Krise.“

„Ich bin in Gesprächen. Es gibt andere Softwarefirmen und ein Maschinenbau-Unternehmen, die Interesse an einer Übernahme haben. Es ist noch nichts entschieden, aber ich habe mir eine Deadline gesetzt. Ich komme in ein Alter, in dem ich eine Nachfolgeregelung brauche. Und ein Verkauf ist meine zentrale Option. Bis zum 31.12.2023 werde ich es durchziehen oder nicht. Und wir sind hier nicht beim Brexit. Wenn ich sage, ich ziehe das durch, dann mache ich das. Andernfalls werde ich andere Optionen evaluieren. Ich will nichts dramatisieren, aber auch nichts beschönigen, Herr Messer. Wenn ich verkaufe, brauche ich mich um meinen Lebensabend nicht sorgen. Bei allen anderen Optionen genauso wenig. Ob Sie dann noch einen Job haben, ist fraglich. Sie sind nicht mehr der Jüngste. Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?“, fragt Herr Fleischer.

„Siebenundvierzig.“

„Und keinen Studienabschluss. Nicht gut, Herr Messer. Das beeindruckt keinen Personaler. Nehmen Sie Digital 212223 bitte ernst. Schon in Ihrem Interesse. Nicht, dass Sie eines Tages Touristen im Velotaxi durch Frankfurt kutschieren müssen, um Ihre Miete zu bezahlen.“

„Heißt, ich stecke knie… nein, hüfttief in der Scheiße, wenn ich Ihrem neuen Vom-Kunden-her-Motto kein Leben einhauche.“

„Eine drastische Sprache, die Sie da verwenden, Herr Messer, aber ja, wenn Sie so wollen …“

„Ok. Dann weiß ich Bescheid.“

Das Gespräch ist offensichtlich zu Ende. Ich stehe auf, verabschiede mich von Iring Fleischer, murmele „mach’s gut, Edgar“ und verlasse das Chefbüro. So viel zum Thema „sein Enthusiasmus verfliegt“.

Weiterlesen?

Lasst die Kunden kommen – Ein Business-Roman über Inbound Marketing und Account-based Marketing, Torsten Herrmann, B2B-Agenda Verlag, 2020

Hardcover – 29,95 Euro – ISBN 978-3-947142-06-4

E-Book – 19,99 Euro (Preis kann zeitweise niedriger sein)
– ISBN 978-3-947142-04-0

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Hardcover-Ausgabe ist in jeder Buchhandlung im deutschsprachigen Raum bestellbar (über die Barsortimenter Libri, KNV und Umbreit), E-Book weltweit in vielen Online-Shops.

Literatur

Keese, Christoph: Silicon Germany – Wie wir die digitale Transformation schaffen. München, 2016.

Kotler, Philipp; Kartajaya, Hermawan; Setiawan, Iwan: Marketing 4.0. Der Leitfaden für das Marketing der Zukunft. Frankfurt, 2017.

Melville, Herman, Rathjen, Friedhelm (Übersetzer), Bishop, Raymond (Illustrator), Pechmann, Alexander (Nachwort) – Moby-Dick; oder: Der Wal. Salzburg, 2016.

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