Zu den größten Missverständnissen im Online-Marketing gehört, dass Lead-Generierung und Inbound Marketing synonym sein sollen. Stattdessen gilt: Lead-Generierung ist der Oberbegriff für alle Maßnahmen, mit deren Hilfe wir Kundeninteresse für die Angebote von Unternehmen kreieren. Inbound Marketing ist dagegen nur einer von vielen Ansätzen, die dafür geeignet sind – genauso wie z. B. Outbound Marketing oder Account-based Marketing.
Trivial ist diese Unterscheidung nicht. Denn das Problem ist, dass manche Unternehmen auf Inbound Marketing setzen, weil sie den Begriff unbewusst mit der Lead-Generierung gleichsetzen. Und das hat fast immer gravierenden Einfluss auf den Erfolg ihrer Inbound-Programme.
Was ist Inbound Marketing?

Meines Erachtens bedeutet Inbound Marketing, dass wir als Anbieter den Entscheidungsprozess unserer potentiellen Kunden unterstützen wollen – mit den richtigen Inhalten zum richtigen Zeitpunkt. Unser Tun hängt also an der Buyer’s Journey und nicht primär an unseren Plänen und Marketingbudgets. Wir gehen davon aus, dass an einem Tag x Entscheider einen komplexen Entscheidungsprozess starten, dessen Phasen von unterschiedlichen Fragestellungen geprägt sind:
- Was ist mein Problem? Was ist meine Chance?
- Wie sieht eine Lösung aus? Ist diese Art von Produkt oder Dienstleistung in der Lage, mein Problem zu lösen oder meine Chance zu realisieren?
- Ist der Anbieter der geeignete Partner bzw. ist das konkrete Produkt die beste Wahl?
Wenn ich das alles schon weiß oder der Prozess nur wenig komplex ist, können wir immer noch gutes Content Marketing betreiben. Nur eben nicht Inbound Marketing. Wenn also auch Produkte in ihrem Einsatz sowie ihren Vorteilen vollkommen klar sind und die Entscheidung nur am Preis liegt, kann ich gutes Online Marketing aufsetzen – aber Inbound Marketing ist der falsche Ansatz.
Wir müssen also den Entscheidungsprozess mit unserem Content nachhaltig beeinflussen können, sonst ist Inbound Marketing einfach nicht der richtige Ansatz.
Auch Inbound Marketing kann wirkungslos verpuffen

Schauen wir uns ein einfaches (fiktives) Beispiel aus dem B2B-Marketing an. Ein Personal Trainer, der Fitness-Kurse für Unternehmen anbietet, möchte neue Leads generieren. Daher konzipiert er umfangreiche, textliche Content-Angebote, überarbeitet seinen Web-Auftritt, entwickelt Nurturing-Strecken mit Whitepapern über Trainingsmethoden, Ernährungsansätze und physiologische Grundlagenstudien zum Fettabbau. Dazu baut er eine Landing Page, auf der sich Interessenten in einem Kontaktformular für ein kostenloses Probetraining anmelden können.
Ob der Personal Trainer mit diesem Vorgehen Erfolg hat, muss sich am Ende zeigen und ist hier nicht die zentrale Frage. Aber sein Angebot ist ein gutes Beispiel dafür, wann Inbound Marketing eher nicht geeignet ist:
- Bei seiner Dienstleistung handelt es sich um ein vergleichsweise günstiges Angebot, das Kunden für einen niedrigen Geldbetrag buchen können. Mit solchen Kaufentscheidungen ist in der Regel kein großer Recherche-Prozess verbunden. Denn das Risiko, das im Business-Kontext mit einer Fehlentscheidung verbunden ist, steigt in aller Regel exponentiell mit dem Preis und der strategischen Bedeutung einer Dienstleistung oder eines Produktes. Daher ist in seinem Fall auch kein Vertrauensaufbau nötig, um potentielle Kunden von seinen Diensten zu überzeugen. Einfach gesagt: Wenn der Personal Trainer es am Ende nicht bringt, hat das Unternehmen nur wenig Geld verschwendet. Langfristige Folgen hat die Entscheidung also keine.
- Auf intellektueller Ebene kann der Personal Trainer wenig tun, um die Entscheidung potentieller Kunden zu beeinflussen. Er kann sein Trainingsprogramm beschreiben und auf die Sinnhaftigkeit von Sport im Unternehmens-Kontext eingehen. Vielleicht wird er versuchen, seine Kompetenz mit Hinweisen auf seine Ausbildung oder Zertifizierungen zu untermauern. Doch am Ende des Tages ist sein Angebot per se nicht besonders erklärungsbedürftig. Es ähnelt vermutlich dem seiner Konkurrenz. Daher ist der Preis vermutlich der wichtigste Entscheidungsparameter für seine Kunden.
Aus diesen Gründen braucht der Personal Trainer mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Marketing-Programm, das weniger auf umfangreichen Content setzt. Sinnvoller wäre es, wenn er sich für eine aggressivere Marketing-Strategie entscheidet. Sprich, wenn er weniger auf eine Pull-Logik, sondern auf einen Push-Effekt setzt, der für klassisches Outbound Marketing charakteristisch ist. Offensive E-Mail-Kampagnen, Werbeanzeigen und die gute alte Kaltakquise wären für ihn folglich die bessere Wahl.
Natürlich interessieren sich seine potentiellen Kunden auch für die genauen physiologischen Prozesse beim Fettabbau. Diese zu erklären, würde sich für den Trainer aber wahrscheinlich nicht lohnen.
Wann ist Inbound Marketing für die Lead-Generierung geeignet?

Unternehmen, die sich für Inbound Marketing interessieren, sollten sich daher bewusst machen, dass es sich hierbei nicht um die eierlegende Wollmilchsau unter den Online-Marketing-Ansätzen handelt. Bevor sie sich für diese Lead-Generierungs-Strategie entscheiden, sollten sie prüfen, ob der Ansatz für die Anforderungen des Unternehmens wirklich geeignet ist. Dazu hilft ein Blick auf unsere kleine Checkliste:
- Das Unternehmen ist in der Lage relevante Budgets in die Lead-Generierung zu investieren.
- Das Unternehmen grenzt sich mit seinem Angebot von der Konkurrenz ab, nicht nur im Preis.
- Das Angebot des Unternehmens ist auf Kundenseite mit komplexen Entscheidungsprozessen verbunden.
- Die Kunden des Unternehmens haben mit dessen Angebot noch keine oder wenig aktuelle Erfahrungen gesammelt, die sie für ihren Entscheidungsprozess nutzen können.
- Die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens sind erklärungsbedürftig.
- Das Angebot des Unternehmens erzeugt eine Marge, die ressourcenintensive Lead-Generierung rechtfertigt.
- Das Unternehmen verfügt über eine ausreichend große Zahl an Zielkunden.
Sie sehen: Inbound Marketing ist ein nachhaltiger Ansatz, bei dem Anwender versuchen, eine dauerhafte Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen. Vertrauen ist hierbei ein wichtiges Stichwort – und das braucht es nur, wenn das Angebot eines Unternehmens einen Großteil der hier aufgeführten Punkte erfüllt.
Was folgt daraus?
Passt nicht jedes der hier aufgeführten Kriterien zu Ihrem Unternehmen, ist das kein Beinbruch. Dann ist es trotzdem nicht ausgeschlossen, dass Inbound Marketing das Richtige für Sie ist. Haben Sie jedoch bei zwei oder drei dieser Punkte erhebliche Zweifel, ob diese auch für Ihr Unternehmen gelten, ist Vorsicht geboten. Dann sollten Sie ausführlich analysieren, ob Inbound Marketing in Ihrem Fall wirklich eine passende Lead-Generierungs-Strategie ist.
Für diese Analyse sind zwei Werkzeuge aus Sales und Marketing erfahrungsgemäß eine große Hilfe. Zum einen können Sie mit Vertriebsmodellen wie BANTF oder GPCTBA/C&I überprüfen, welche Eigenschaften typisch sind für Kunden, mit denen Sie bereits zusammenarbeiten. Passen deren Eigenschaften zu den oben beschriebenen Kriterien, ist das ein sehr guter Indikator dafür, dass Inbound Marketing für Sie eine erfolgsversprechende Option ist.
Zum anderen – und das ist aus unserer Sicht der sicherste Weg – bietet es sich an, im Rahmen Ihrer Marketing-Strategieentwicklung eine professionelle Buyer-Persona-Analyse durchzuführen. Basieren diese Analysen auf Interviews mit Kunden, gewähren Ihnen Buyer Personas wertvolle, weil tiefgehende Einsichten in die Entscheidungsprozesse Ihrer Kunden. Eine solche Analyse sollte aus unserer Sicht immer an erster Stelle stehen, wenn Unternehmen auf der Suche nach einer passenden Marketing-Strategie sind.
In diesem Beitrag haben Sie gesehen, wie wichtig es bereits vor der Entwicklung einer Marketing-Strategie ist, Begriffe und Zielgruppen klar zu definieren. Andernfalls entstehen schlimmstenfalls Missverständnisse, durch die Sie Ressourcen in die falschen Werkzeuge investieren.
Ist diese Frage geklärt, empfiehlt es sich, nicht einfach drauf los zu legen. Teil eines jeden Marketing-Programms sollte immer eine ausführliche Wettbewerbsanalyse sein. Dadurch erhalten Sie in aller Regel wertvolle Impulse, die Sie für die Entwicklung Ihrer eigenen Strategie berücksichtigen können.
Statt z. B. einfach das gleiche wie alle anderen zu machen, können Sie mit alternativen Lead-Generierungs-Methoden Nischen besetzen, die Ihre Konkurrenz bislang vernachlässigt hat. Dadurch entwickeln Sie unter Umständen ein Alleinstellungsmerkmal (z. B. ein Video-Channel, falls Ihre Konkurrenz ausschließlich auf Blogbeiträge setzt), mit dem Sie bei Ihren Zielkunden punkten können. Und das ist gerade in umkämpften Branchen von unschätzbarem Wert.