Kunden erwarten von Anbietern eine optimale Customer Experience. Das ist im B2B-Bereich nicht anders als im B2C. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, braucht es in Zeiten der Digitalisierung allerdings mehr als interne Überlegungen oder ein gutes Bauchgefühl. Stattdessen müssen Anbieter Customer Insights entwickeln, die im Detail Aufschluss über Kundenbedürfnisse und -präferenzen geben.
Ohne Strategie keine Customer Experience
Wer seine Kunden und deren Entscheidungsprozesse nicht genau versteht, verhindert ein ideales Kundenerlebnis. Mich erinnert das an Unternehmen wie Kodak oder Nokia, die zu stark an ihre Produkte sowie ihre Marke glaubten und den Kundenfokus verloren. Bei Kodak ging es sogar so weit, dass sie die Technologie für Digitalphotographie längst im Haus hatten, aber die Revolution am Markt scheuten und letztlich ihre dominante Position abtreten mussten.
Wer keine strukturierte Analyse zum Kaufverhalten betreiben will, hat nur eine Alternative: sich Wissen zusammenreimen. Das ist kein Fundament, auf dem sich eine B2B-Marketing-Strategie entwickeln lässt. Auch die Marktbearbeitung wird dadurch nicht besser. Ein Vorgehen, das auf Mutmaßungen aufbaut und nicht auf tatsächlichem Wissen über die Kunden, lässt sich nicht wirklich als Strategie bezeichnen.
Vorgehen bei Customer-Insights
In einem Customer-Insight-Projekt sind drei Schritte zu unterscheiden:
- Datenerhebung (quantitativ oder qualitativ bzw. Mischformen)
- Datenauswertung (entweder intuitiv oder strukturiert)
- Operationalisierung der Kunden-Insights (Umsetzung des Wissens in der täglichen Arbeit in Marketing und Vertrieb)
Consumer Marketing als Vorbild
Insbesondere im Business-to-Business-Bereich hat das Marketing in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Anstrengungen unternommen, Kundendaten zu sammeln und ihre Zielgruppe besser zu verstehen. Dabei orientierten sich viele Unternehmen lange Zeit am B2C-Marketing (Consumer Insights zum Verbraucherverhalten).
Statt demografischer Zielgruppen mit Konsumenten definierten sie firmografische Kriterien wie Branchen oder Unternehmensgrößen. Dazu beschafften sie Listen mit Kundendaten bei spezialisierten Datenlieferanten, betrieben Data Mining, nutzten Marktforschung, um die Kundenzufriedenheit mit standardisierten Fragebögen zu erfassen, oder werteten ihr Customer-Relationship-Management zahlenmäßig aus. Hinzu kamen Quellen wie Verhaltens-, Transaktions- oder andere Daten aus E-Commerce- und Tracking-Systemen sowie Social Media.
Wenn Sie mehr darüber lesen wollen, wie sich B2B-Marketing vom Consumer Marketing (B2C) unterscheidet, empfehlen wir Ihnen unseren Beitrag „Was ist eigentlich B2B Marketing“. Darin lesen Sie nicht nur alles über die Unterschiede zwischen beiden Bereichen. Sie erfahren auch, welche Disziplinen sich im B2B für die Bearbeitung von Zielkunden eignen, welche Kanäle für Programme und Kampagnen in Frage kommen und warum die Bedeutung der Customer Experience gestiegen ist.
Bei Customer Insights geht es um das „Warum“
Bei einer Zielgruppenanalyse steht traditionell die Frage nach dem „Wer“ im Vordergrund. Wer hat an der Umfrage teilgenommen? Was macht die Käuferinnen und Käufer aus? Was im Business-to-Business und im Lead-Management aber vor allem von Interesse ist, sind Erkenntnisse über das „Warum“. Warum entscheiden sich Kunden für einen bestimmten Anbieter oder eine Marke?
Indem wir die genauen Motivationen verstehen, können wir uns in der Kommunikation (und in der Produktentwicklung) auf Kundengruppen und deren Herausforderungen, Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse genau einstellen und die Ansprache optimieren. Strukturiert lässt sich dies jedoch mit keiner quantitativen Methode erkennen. Auch die üblichen Zielgruppendefinitionen versagen an dieser Stelle.
Der nächste Schritt: Buyer Personas
Die Beschreibung potenzieller Kunden im Sinne von Zielgruppendefinitionen oder Unternehmensprofilen reichte den B2B-Marketern irgendwann nicht mehr aus. Eine zusätzliche Frage kam aufgrund neuer Lead-Management-Ansätze wie Inbound Marketing und Account-based Marketing etwa ab 2010 auf, da sich der Bereich der Lead-Generierung damit von der Vertriebsabteilung hin zu den Marketern verlagerte. Sie lautet:
Wie gehen Kunden bei der Anbieterauswahl vor?
Wir, als Marketer, müssen diesen Entscheidungsprozess – die Buyer’s bzw. Customer Journey – verstehen und lernen, uns auch ohne direkte Kundeninteraktion darauf einzulassen. Da sich das Kaufverhalten im Business-to-Business aufgrund der stärkeren Nutzung von Online-Informationsquellen gewandelt hat, braucht es ein tieferes Verständnis des Kundenlebenszyklus sowie der Ziele, Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden. Um diese Einblicke zu erhalten, greifen die meisten B2B-Unternehmen heutzutage auf die Entwicklung von Buyer Personas zurück.
Die Template-Methode
Buyer Personas gelten als semifiktionale Repräsentanten von Mitgliedern des Entscheidungsgremiums. Ziel eines solchen Customer-Insights-Projektes ist, sich die Personen, für die das Marketing-Team Content schafft und Maßnahmen entwickelt, besser vorzustellen.
Die meisten B2B-Unternehmen erarbeiten – zum Teil mit Sales-Beauftragten oder externen Berater:innen – diese plastische Vorstellung ihrer Kunden mithilfe sogenannter Buyer-Persona-Templates. Dabei fließen interne Annahmen über Kundengruppen ein, aber auch Know-how aus dem Vertrieb sowie die Erfahrungen der Beratung. Dies geschieht zumeist in Workshops – oder schlimmstenfalls mit Hilfe eines Tools durch eine einzelne Person.
Auswertung erhält zu wenig Gewicht
Die Auswertung dieser Customer-Insight-Projekte findet parallel zur Datenerfassung im Workshop statt. Die Teilnehmer:innen tragen ihre Sichtweisen in Felder ein. Anschließend erfolgt eine Konsolidierung. Die Ergebnisse sind dann Steckbriefe „fiktionaler“ Entscheider:innen, die bei der Erstellung von Content oder bei internen Diskussionen und Planungen helfen sollen.
Buyer-Persona-Templates sind den Aufwand nicht wert
Auf Basis von Templates entwickelte Personas lassen meines Erachtens sehr zu wünschen übrig. Zusammengefasst wird meistens eine Reihe von Mutmaßungen über die Entscheider:innen, ohne tatsächlichen Einblick in deren Denkprozesse. Intern über die Herausforderungen und Erwartungen der Kunden zu philosophieren, liefert allerdings keine brauchbaren Erkenntnisse. Es fehlen die Unvoreingenommenheit bei der Erhebung der Daten und die strukturierte Datenauswertung. Diese wird meist zu stark von einzelnen Beteiligten beeinflusst.
Darüber hinaus sind viele Informationen in Buyer-Persona-Templates für den Entscheidungsprozess der Kunden schlicht irrelevant (z. B. Hobbys, Interessen, Werte oder Familienstand). Anhand solcher Kundenprofile kundenzentrierte Strategien, Prozesse und Lösungen zu entwickeln, reicht einfach nicht. Sie erzeugen keinen wahren Customer Insights und eröffnen keine neuen Möglichkeiten, um das Kundenerlebnis zu verbessern und die Kundenbindung zu stärken.
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Interviewbasierte Buyer Personas
Aktuell befinden wir uns in einer Umbruchphase. Kundenverständnis auf der Ebene von Zielgruppen oder einfacher Buyer-Persona-Profile ist zu ungenau. Buyer-Persona-Entwicklung mithilfe von Interviews, wie es Adele Revella vorschlägt, war dagegen bislang die beste Methode.
Hierbei sprechen Interviewer:innen mit Entscheidungsverantwortlichen über deren kürzliche Investition in ein Produkt oder die Beauftragung einer Dienstleistung. Dies geschieht in einem offenen oder narrativen Interview, d.h. es gibt kein festgelegtes Skript mit vorgefertigten Fragen. Stattdessen erzählen die Kundenvertreter:innen die Story ihres Entscheidungsprozesses (Storytelling).
Die Erhebung der Kundendaten erfolgt durch die systematische Auswertung dieser Gespräche (Storylistening). Die Interviews werden aufgenommen und anschließend verschriftet. Sie dienen dann als Datenbasis für die strukturierte Erschließung der Kundenbedürfnisse.
Wenn Unternehmen systematisch Kundenwissen gewinnen möchten, übertragen sie diese Aufgabe häufig an den Vertrieb. Das ist aber nicht die beste Entscheidung, denn Verkäufer:innen nehmen in Kunden-Interviews schnell ihre gewohnte Rolle ein. Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel „Warum es dem Vertrieb schwer fällt, strukturelles Kundenwissen zu erheben“.
Five Rings of Buying Insights
Diesen Ansatz beschreibt die US-amerikanische Beraterin Adele Revella in ihrem Buch „Buyer Personas“. Sie geht bei der Auswertung der qualitativen Daten entsprechend der von ihr definierten „Five Rings of Buying Insights“ vor (siehe Grafik):
Die Inhalte aus den Interviews werden diesen fünf Kategorien zugeordnet und entsprechend strukturiert. Dadurch erhalten Marketing-Teams klare Informationen darüber, welche Auslöser es für einen Entscheidungsprozess gibt, welche Einflüsse und welche Entscheidungskriterien. Diese kann man in Tabellenform aufbereiten oder in einer längeren Abhandlung beschreiben. Möglich ist auch, die Erkenntnisse in einer Management-Summary zusammenzufassen.
Der Unterschied zwischen Template-basierten Buyer Personas und dem Revella-Modell liegt im Betrachtungsfokus. Buyer Personas, deren Entwicklung auf Interviews basiert, stellen nicht die Beteiligten eines Buying Centers mit ihren Individualinteressen in den Mittelpunkt. Ziel ist stattdessen, Entscheidungsprozesstypen herauszuarbeiten.
Umsetzung der Customer Insights im Marketing
Die große Schwierigkeit bei allen beschriebenen Customer-Insight-Ansätzen betrifft die Operationalisierung. Was fehlt, ist ein klarer Weg, auf dem B2B-Unternehmen diese Kundendaten bzw. -informationen für die tägliche Arbeit (bzw. die Ausgestaltung von Marketingmaßnahmen) nutzen können.
Im Falle von Buyer-Persona-Templates erhalten B2B-Marketer ausgefüllte Steckbriefe über die Entscheidungsbeteiligten. Diese kurze Form der Customer Insights wirkt zwar verlockend, ist aber unserer Erfahrung nach selten zielführend. In den allermeisten Fällen erkennen Anwender:innen innerhalb weniger Monate, dass sie mit der großen Zahl an Buyer-Persona-Profilen überfordert sind und die Kundeninformationen wenig zur Umsetzung beitragen.
Buyer Personas zu nutzen, ist komplex
Buyer Personas nach Revella enthalten wesentlich genauere Kundeninformationen. Sich diese immer wieder vorzunehmen und daraus Input für die Arbeit abzuleiten, ist jedoch nicht leicht. Leider will kaum jemand sich immer wieder die detaillierten Begründungen durchlesen. Die Management-Summary sowie andere Zusammenfassungen wiederum sind nicht direkt nutzbar. Obwohl der Informationsgehalt hoch und relevant ist, fällt die Anwendung allen Beteiligten schwer.
Jobs-to-be-Done liefert die beste Orientierung
Ein neuer Ansatz, der Kundenwissen meist besser für die Umsetzung strukturiert, ist Jobs-to-be-Done. JTBD, so die Kurzform, wurde von Clayton M. Christensen von der Harvard Business School entwickelt und von Beratern wie Bob Moesta und Anthony Ulwick in der Praxis eingeführt.
Jobs-to-be-Done geht davon aus, dass B2B-Kunden ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht einfach nur kaufen, sondern in ihren Arbeitsalltag einbinden. Ein „Job“ ist nach diesem Verständnis der Fortschritt, den ein Kundenunternehmen in seiner individuellen Situation erreichen will. Wer über diesen Fortschritt sowie die Rahmenbedingungen des Unternehmens präzise Bescheid weiß, kann seine Aktivitäten in Marketing und Sales besser auf einen Job-Typus zuschneiden als der Wettbewerb.
Das Vorgehen der Datenerhebung ähnelt dem Buyer-Persona-Ansatz von Adele Revella. Zunächst führt man offene Interviews, die das Fundament für die Analyse legen. Hier zeigen sich zwei Wege:
- Einerseits lässt sich das Projekt vollständig aufgrund von Interviews durchführen.
- Andererseits kann man zusätzlich eine Umfrage durchführen. Diese ergänzt die qualitativen Daten um einen quantitativen Eindruck.
Dies ist nicht in einem streng statistisch relevanten Sinne zu verstehen. Wir wollen keine Aussagehäufigkeiten erschließen, sondern Begründungslogiken. Dennoch helfen Muster, die Argumentationen zu erkennen und den Customer Insight nutzbar für die Weiterverwendung zu halten.
Datenauswertung nach JTBD
Bei der Analyse der Daten orientiert sich Jobs-to-be-Done an den Jobs des Kunden (dies sind in Revellas Modell die Erfolgsfaktoren). Im Mittelpunkt steht das positive Ergebnis, das Entscheider:innen mit einem Produkt oder einem Service erreichen wollen (bzw. die negative Situation, die mit der Investition bzw. Beauftragung beseitigt werden soll). Die vorliegenden Daten aus Interviews und Fragebögen werden den einzelnen Jobs zugeordnet. Die Herausforderung dabei ist, diese Jobs richtig zu formulieren und abzugrenzen. Hierzu braucht es einiges an Erfahrung.
Wenn Sie wissen möchten, wie sich Kundenzentrierung in der Praxis anfühlt, empfehlen wir Ihnen unseren Beitrag „Customer Centricity in B2B-Unternehmen“. Es handelt sich um ein Interview, in dem Jörg Arnold, Geschäftsführer des Marketing-Automation-Anbieters Mailingwork, über die Zusammenarbeit mit unserer Agentur spricht.
Bildlich kann man sich JTBD wie folgt vorstellen:
Bei Buyer Personas nach Revella erhält man entsprechend der Five Rings of Buying Insights eine Tabelle mit fünf Spalten. Mit Jobs-to-be-Done ergibt sich hingegen eine Customer Journey Map, anhand der man die Beziehungen zwischen den Dimensionen versteht und nutzen kann.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, von drei möglichen Investitionsauslösern kommen nur zwei bei Kunden mit Job A vor, während bei Job B der dritte Auslöser von Bedeutung ist. Dann lassen sich Marketingmaßnahmen und Kommunikation leicht auf diese Insights ausrichten. Zudem beschränkt sich eine JTBD-Analyse nicht auf die Dimensionen von Adele Revella (auch wenn diese eine sehr gute Strukturierung für Interviewführung und Auswertung der Daten darstellen).
Die Vorteile von Jobs-to-be-Done
Die Customer Insights, die Anbieter in einem Jobs-to-be-Done-Projekt gewinnen, sind komplex, aber auch sehr detailliert strukturiert. Dies erleichtert die Übergabe an die umsetzenden Abteilungen. Diese erhalten klare Guides, wie sie die Kommunikation mit Kunden gestalten sollten, und können darauf aufbauend das Kundenerlebnis verbessern. Dabei sind auch Interview-Ausschnitte oder Aussagen aus den Umfragen bzw. Fragebögen hilfreich.
Vergleicht man die einzelnen Stufen und Ansätze von Customer Insights – Zielgruppen, Buyer-Persona-Templates, interviewbasierte Buyer Personas und Jobs-to-be-Done – zeigt sich, dass JTBD die beste Basis ist, um das neu gewonnene Wissen zu operationalisieren. Es entsteht ein Fundament für eine kundenzentrierte Marktbearbeitung, mit der Marketing und Sales (sowie ggf. weitere Abteilungen, zum Beispiel Service und Produktentwicklung) den Entscheider:innen die bestmögliche Customer Experience bieten und dadurch die Kundenbindung stärken können.
– Die Customer Experience entwickelt sich immer mehr zum Wettbewerbsvorteil, der es erleichtert, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kundenbeziehungen zu verbessern. Das gilt nicht nur für Konsumenten, sondern auch für Geschäftskunden.
– Die Entwicklung von Customer Insights besteht aus drei Schritten: Datenerhebung und -auswertung sowie Operationalisierung. Im Fokus steht nicht, wer die Kunden sind, sondern warum sie sich für einen Anbieter entscheiden.
– Im B2B-Bereich arbeiten Anbieter meist mit Buyer Personas. Ob sie damit Erfolg haben, hängt von der Quelle ab: Anders als interviewbasierte Personas liefern Buyer-Persona-Templates keinen Mehrwert.
– Die effektivere Methode ist Jobs-to-be-Done. Die Einblicke, die Anbieter dadurch erhalten, schaffen ein Fundament für Kundenzentrierung in Marketing und Vertrieb.