Die Digitalisierung ermöglicht es, die Customer Experience so einfach und persönlich wie nie zu gestalten. Das nutzt jedoch nichts, wenn B2B-Marketing und -Vertrieb nicht wissen, auf welche Zielgruppe sie ihre Strategien zuschneiden sollten. Hierbei hilft ein Ideal Customer Profile (ICP); ein Werkzeug, mit dem Unternehmen die richtigen Kunden finden.
Was ist ein Ideal Customer Profile?
Ein Ideal Customer Profile (deutsch: Idealkundenprofil) beschreibt die Eigenschaften eines fiktiven Unternehmens, das
- von Ihrem Produkt oder Service am meisten profitiert und
- Ihr Angebot aufgrund von Kriterien wie Bedarf, Budget oder Branche mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kaufen, nutzen und weiterempfehlen wird.
ICPs sind fiktive Wunschkunden, mit denen Sie als Anbieter am leichtesten profitable Geschäfte tätigen können. Zugleich sind es Kunden, die für Sie relativ leicht zu gewinnen sind und die den höchsten Nutzen aus Ihrem Angebot ziehen. Je ähnlicher ein Unternehmen diesem Profil ist, desto mehr Aufmerksamkeit verdient es im Rahmen Ihrer Marketing- und Vertriebsstrategie.
Das Marktforschungsunternehmen Gartner betont in seinem Blog-Artikel „The Framework for Ideal Customer Profile Development“, wie wichtig es ist, ein ICP konsequent zu nutzen. Es verweist auf Studien, laut denen das ICP in wachstumsstarken Firmen integraler Bestandteil der Marketing- und Sales-Strategie ist.
Wie funktioniert die Erstellung eines Ideal Customer Profile?
Bei der Entwicklung eines ICPs geht es darum, Merkmale eines Idealkunden zu definieren. Dieser Prozess beginnt typischerweise mit einer Analyse der vorhandenen Kundendaten.
Am einfachsten ist, wenn Sie zunächst eine Liste Ihrer (wichtigsten) aktuellen Kunden erstellen und diese mit Daten aus Ihrem CRM-System (sowie ggf. weiteren Systemen) anreichern. So können Sie ermitteln, mit welchen Unternehmen Sie bislang die größten Geschäfte gemacht haben, inklusive Up- und Cross-Selling.
Hüten sollten Sie sich hingegen vor Vorstellungen wie „Eigentlich ist jeder Kunde für uns gleich wichtig“ oder „wir wollen jedes Unternehmen als Kunde gewinnen“. Diese Indifferenz hilft Ihnen nicht weiter, da Sie nicht wissen, auf wen Sie Ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten Sie konzentrieren sollten.
Darauf aufbauend untersuchen Sie diese Gruppe auf Gemeinsamkeiten und Muster:
- Aus welchen Branchen stammen die Kunden?
- Wie viele Mitarbeiter:innen beschäftigen sie jeweils?
- Stammen sie aus einer bestimmten Region?
- Handelt es sich um börsennotierte oder um Privatunternehmen?
- Wann wurden sie gegründet?
- Welchen Finanzierungsstatus weisen sie auf?
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Erkenntnisse im Plenum schärfen
Mithilfe dieser Fragen erhalten Sie einen lebendigen Eindruck von Ihrer Zielgruppe. Das reicht aber noch nicht. Um Ihr Ideal Customer Profile zu schärfen, sollten Sie im nächsten Schritt präziser auf die Kriterien eingehen, die Unternehmen als Zielkunden prädestinieren:
- Warum ist Ihr Produkt/Ihre Dienstleistung für diese Firmen besonders sinnvoll?
- Welche Abteilung(en) profitieren davon am meisten?
- Gibt es unternehmens-, umwelt- oder verhaltensbezogene Attribute, für die Ihr Angebot förderlich ist?
- Bestehen rechtliche Hürden, die eine Zusammenarbeit mit diesen Kunden erschweren (oder künftig erschweren könnten)?
Diese Fragen ergeben sich nicht aus Daten, sondern werden am besten im Plenum diskutiert. Dafür bietet sich ein abteilungsgreifendes Meeting mit Mitgliedern aus Geschäftsführung und kundennahen Bereichen an. Es dient dazu, inhaltliche Lücken zu schließen und das ICP zu schärfen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann im letzten Schritt dokumentiert, visualisiert und besprochen. Ein geeigneter Rahmen für diese Diskussion ist beispielsweise eine Buying-Center-Analyse.
In B2B-Unternehmen sollte ein Ideal Customer Profile auf keinen Fall isoliert im Marketing entstehen. Das Marketing ist oft zu weit weg vom Tagesgeschäft und kann schwer einschätzen, wem die vertriebene Lösung am meisten weiterhilft.
Warum überhaupt die richtigen B2B Kunden finden?
Ein ICP hat für Marketing und Sales einen hohen strategischen Wert besitzt. Es dient als Leitbild, an dem sich sämtliche Bemühungen in beiden Bereichen ausrichten lassen. Auf diese Weise fließen Ressourcen vorwiegend in potenzielle Kunden, die an einer Geschäftsbeziehung tatsächlich Interesse (und Bedarf) haben.
Wie wichtig ein Idealkundenprofil ist, zeigt ein Blick auf drei populäre strategische Ansätze für die Neukundengewinnung und die Entwicklung von Bestandskunden:
Inbound Marketing
Lead-Generierung via Inbound Marketing will potenzielle Kunden, die sich mindestens latent mit einer Beschaffung/Investition in Ihrer Produktkategorie interessieren, in Leads konvertieren und im Zuge der Buyer’s Journey entwickeln (Lead Nurturing). Dafür braucht insbesondere das Marketing eine möglichst konkrete Vorstellung davon, wen es mit seinen Maßnahmen an den einzelnen Touchpoints (Webseite, Social Media etc.) erreichen soll.
Account-based Marketing (ABM) und Demand Generation
Zu den ersten initialen Schritten im Account-based Marketing zählt die Definition der Unternehmen (Accounts) bzw. Segmente, für die (semi)individuelles Marketing betrieben werden soll. Ohne ICP ist nicht ausgeschlossen, dass hierbei Accounts in die Segmentierung fließen, für die der mit ABM verbundene Aufwand nicht rentabel ist.
ABM als Ansatz für Demand Generation will nicht nur bestehende Nachfrage am Markt konvertieren, sondern auch Nachfrage erzeugen. Diese Herausforderung ist ohne klare Vorstellung eines Idealkunden umso wichtiger ist.
Content Marketing
Kunden suchen heute selbstständig nach Informationen und vergleichen Dienstleister und Anbieter eigenständig. Diese Suche kann Content Marketing nur dann unterstützen, wenn klar ist, welche potenziellen Kunden informiert werden sollen (und welche Kundenansprache dafür sinnvoll ist).
Die Vorteile eines ICP
Jeder dieser Ansätze setzt auf skalierbare, wiederholbare Strategien und Taktiken, die potenzielle Kunden (sowie Bestandskunden) konvertieren, entwickeln, gewinnen und ausbauen sollen. Dies erfordert ein möglichst detailliertes Bild der Zielgruppe, die bearbeitet werden soll.
Genau hier liegt die Stärke eines ICP. Sorgfältig ausgearbeitet, ermöglicht es Marketing und Vertrieb, Ressourcen in Zielkunden zu investieren, die für das Produkt oder die Dienstleistung prädestiniert sind. Das Ergebnis sind u. a.
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- kürzere Verkaufszyklen und
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- höhere Conversion-Raten (sofern Sie auf Lead-Generierung und nicht auf Demand Generation setzen).
Ideal Customer Profile, Zielkunden & Buyer Personas
Manchmal bringen Menschen die Begriffe Ideal Customer Profile, Zielkunde und Buyer Persona durcheinander. Das ist nachvollziehbar, sorgt aber schnell für Verwirrung.
Der Begriff Zielkunde meint alle Unternehmen, die Ihr Angebot nutzen könnten. Er umschreibt also eine sehr weit gefasste Gruppe von Firmen, die als Neukunden in Frage kommen. Hierzu zählen auch Firmen, die per Definition wenig mit Ihrem ICP gemein haben.
Buyer Personas wiederum sind archetypische Repräsentanten einer Kundengruppe. Der Fokus liegt dabei nicht auf oberflächlichen Merkmalen wie Größe, Branche oder Standort. Stattdessen beschreibt eine Buyer Persona das Entscheidungsverhalten (die 5 Buying-Insight-Dimensionen) eines Kundentypus.
Dieses Wissen ist das Resultat einer Analyse, die verstehen will, wie eine Entscheidung entsteht. Dass es sich dabei um eine wichtige Zielgruppe des Unternehmens handelt, wird unausgesprochen vorausgesetzt (warum sollte man schließlich den Aufwand für irrelevante Kundengruppen betreiben?).
ICPs zu definieren, ist für das Marketing nur der Anfang
Ein ICP leistet die Vorarbeit für kundenzentrische Marketing- und Sales-Strategien. Es liefert jedoch keine Informationen darüber, wie und warum der fiktive Wunschkunde seine Entscheidung trifft. Dieses Wissen („Insights“) ist der Kern, zu dem Sie vordringen müssen, um die Customer Experience für Ihre Zielgruppe möglichst einfach und angenehm zu gestalten.
Insights über die Buyer’s Journey Ihrer Kunden erhalten Sie, wenn Sie die richtigen Leute im richtigen Kundenunternehmen befragen. Hier ist ein Ideal Customer Profile eine große Hilfe, denn Kunden, die dem Profil am nächsten kommen, sind in der Regel bestens für eine Befragung geeignet.
Für Erkenntnisse über den Entscheidungsprozess auf Seite des Kunden eignen sich offen geführte Interviews. „Offen“ bedeutet, dass es keinen festen Fragenkatalog gibt. Stattdessen geht es darum, den Kunden eine Story erzählen zu lassen: Die Geschichte seiner Kaufentscheidung.
Was geschieht nach dem Interview?
Typischerweise braucht es für solides Insight-Wissen etwa fünf bis zwölf Interviews, die im nächsten Schritt analysiert werden. Hierfür eignen sich neben Buyer Personas nach der Methode von Adele Revella (bitte nicht mit Buyer-Persona-Templates verwechseln!) sogenannte Jobs-to-be-Done-Analysen.
Ein vergleichbares Verständnis von Idealkunden vertritt der Customer-led-Growth-Ansatz. Analytisch setzt dieser auf der Jobs-to-be-Done (JTBD)-Theorie von Clayton Christensen auf.
Jobs-to-be-Done ist eine strategische Methode für die Analyse von Entscheidungsprozessen. Sie stammt ursprünglich aus dem Bereich der Innovationsforschung, eignet sich aber auch für die Untersuchung von Kaufentscheidungen. Anbieter versuchen damit zu verstehen, welche Bedürfnisse und Ziele Kunden veranlassen, ein Produkt bzw. einen Service zu „beauftragen“ (vom englischen „to hire“).
Die JTBD-Theorie geht von einer einfachen Prämisse aus: Märkte wachsen, entwickeln oder erneuern sich, wenn Kunden eine Aufgabe (einen „Job“) zu erledigen haben und dafür ein Produkt oder einen Service nutzen.
Diese Aufgabe ist ein dynamischer Prozess, der im Rahmen der Buyer’s Journey mit unterschiedlichen Präferenzen verbunden sein kann. Er soll zu einem positiven, zunächst einmal lösungsneutralen Ziel führen, das eine oder mehrere Personen (z. B. die Mitglieder eines Buying Centers) erreichen wollen.
Im Kern geht es bei Jobs-to-be-Done also darum, wie und warum sich ein Kunde verändern möchte.
Welches Ergebnis liefert JTBD?
Das Jobs-to-be-Done-Framework geht bei der Analyse der erhobenen Daten (neben Interviews setzen Anwender:innen häufig auf Online-Befragungen) sehr strukturiert vor. Aufgrund der starken Ausrichtung an den Jobs, die Kunden erledigen wollen, entsteht eine kundenzentrische, prozessbezogene Sicht, die
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- Zusammenhänge zwischen den Einflüssen auf eine Entscheidung zeigt,
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- neue Erkenntnisse für die Segmentierung von Zielgruppen eröffnet und
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- klare Richtlinien für die Entwicklung von Key Perfomance Indicators gibt.
Die Ergebnisse der JTBD-Analyse werden in Form einer Customer Experience bzw. Customer Journey Map visualisiert. Ziel ist, die Customer Journey repräsentativer Kundentypen für jeden Job zu skizzieren und die Übergänge zur nächsten Stufe in Form aussagekräftiger Kennzahlen zu definieren.
Mit einer solchen Karte erhalten Sie einen Leitfaden für die Ausgestaltung ihres Marketings und ihres Vertriebs. Welche Ansprache und Argumente an den einzelnen Touchpoints zum Kunden (Webseite, Social-Media-Kanäle etc.) sinnvoll sind und welche Inhalte und Themen für diese Kunden interessant sind, lässt sich daraus sehr leicht ablesen.
Rekalibrierung nach der Analyse
Buyer Persona- und Jobs-to-be-Done-Analysen konkretisieren Ihre Vorstellungen der Ideal Customer Profile.
Aber sie korrigieren diese unter Umständen auch. Wenn Sie besser wissen, wie Ihre Idealkunden entscheiden und Ihre Produkte nutzen, zeigen sich auch die Charakteristika für die Unternehmen, die doch nicht so ideal sind, wie Sie dachten. Sie können also die Auswahl an Unternehmen aufgrund dieser Erkenntnisse unter Umständen noch einmal einschränken.
Fazit: Ein ICP zu erstellen, schafft die Basis für Customer Centricity
B2B-Kunden zu gewinnen, wird immer komplexer. Moderne Strategien für Marketing und Vertrieb setzen hierbei darauf, das Kundenerlebnis (die Customer Experience) so positiv wie möglich zu gestalten. Das ist aufwendig, ermöglicht es aber, sich in umkämpften Branchen ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, das Wettbewerber schwer kopieren können.
Ganz gleich ob Customer-led Growth, Buyer Enablement, Revenue Marketing (Revenue Operations) oder ABM: Jede dieser Strategien setzt voraus, dass Sie die richtige Zielgruppe bearbeiten. Der erste Schritt besteht daher immer darin, anhand eines Ideal Customer Profile zu definieren, welche Kriterien und Eigenschaften typisch für die wertvollsten Kunden des Unternehmens sind. Darauf aufbauend können Sie Unternehmen, die dieser Beschreibung nahe kommen, ausführlicher analysieren.