Moderne Strategien für Online Marketing und Vertrieb sind kundenzentrisch. Prozesse, Inhalte und Botschaften sollen an jedem Touchpoint auf die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten werden. Ein Begriff, der in diesem Kontext zentrale Bedeutung hat, ist die Customer Journey.
Customer Journey – eine Definition
Als Customer Journey bezeichnet man in Marketing und Vertrieb die Gesamtheit aller Interaktionen, die ein Kunde im Kontakt mit dem Lösungstyp sowie der Marke eines Anbieters durchlebt. Diese Reise umfasst sowohl die einzelnen Phasen im Kaufentscheidungsprozess (Buyer’s Journey) als auch die Nutzung des Angebotes. Sie beginnt bei der Wahrnehmung eines Problems, beinhaltet die Suche nach Lösungen sowie den Vergleich geeigneter Anbieter und reicht bis hin zur Anwendung des Produktes oder Services.
Streng genommen ist der Begriff „Kundenreise“ missverständlich, denn er suggeriert, dass es ein konkretes Ziel, einen Endpunkt, gibt. Beispielsweise den Kaufabschluss. Das ist nicht immer der Fall. Unternehmen, die auf Recurring Revenue angewiesen sind – zum Beispiel Software-as-a-Service-Anbieter – hoffen im Gegenteil darauf, dass Kunden ihre Reise auch viele Jahre nach dem Start fortsetzen. Ziel sind zufriedene, zahlende Kunden, die ihr Abonnement Monat für Monat verlängern.
Auch in anderen B2B-Branchen endet die Customer Journey nicht mit dem Kauf oder der Buchung eines Angebotes. Beratungsunternehmen etwa sind darauf angewiesen, sich in Projekten zu bewähren und Kunden ein positives Erlebnis zu bieten. Nur dann besteht für sie die Chance, weitere Aufträge von diesem Unternehmen zu erhalten.
Aus welchen Phasen besteht die Customer Journey?
Bis heute gibt es kein allgemein anerkanntes Customer Journey Modell, an dem sich Marketing und Vertrieb orientieren können. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass sich die Reise des Kunden in unterschiedliche Phasen gliedern lässt. Ob es sich um drei, vier oder fünf Phasen handelt (oder gar mehr), hängt von den Schwerpunkten ab, die Expertinnen und Experten setzen.
Unsere Agentur arbeitet seit einigen Jahren mit einem Modell, das Customer Journeys in vier Phasen teilt:
- Awareness: Das Kundenunternehmen entwickelt ein Bewusstsein für ein Problem oder einen Verbesserungsbedarf. Die davon betroffenen Entscheiderinnen und Entscheider beginnen, ihre Herausforderung zu definieren, und informieren sich darüber.
- Consideration: Der Kunde hat sein Problem erkannt und bildet ein Entscheidungsgremium (Buying Center), das gemeinsam nach einer Lösung sucht. Die Mitglieder informieren sich über mögliche Optionen und vergleichen in Frage kommende Anbieter.
- Decision: Das Buying Center hat sich auf eine Lösungsoption festgelegt und eine Shortlist mit geeigneten Anbietern erstellt. Diesen fühlen die Mitglieder nun persönlich auf den Zahn.
- Retention & Advocacy: Die Lösung des Anbieters wird im Kundenunternehmen eingeführt respektive umgesetzt. Bestenfalls ist der Kunde so zufrieden, dass er die Lösung in seiner Organisation ausweitet (z. B. zusätzliche Software-Lizenzen für weitere Bereiche), in seinem Netzwerk empfiehlt oder sich im nächsten Projekt wieder an den Anbieter wendet.
Dieses Modell hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Kundenprojekten bewährt. Allerdings verführt es dazu, dass Marketing und Vertrieb sich vor allem auf die Buyer’s Journey fokussieren. Da wir immer häufiger mit B2B-SaaS-Anbietern zusammenarbeiten, setzen wir in diesen Projekten mittlerweile auf eine alternative Struktur. Diese stammt von „Forget the Funnel“, einem US-amerikanischen Beratungsunternehmen, das den Begriff „Customer-led Growth“ geprägt hat – einen strategischen Ansatz, dem wir uns als Agentur fest verschrieben haben.
Die ersten drei Phasen dieses Modells bezeichnet man ihrer Gesamtheit als Buyer’s Journey (auch: Decision Journey). Diese ist mit dem Kauf bzw. der Buchung des Angebotes abgeschlossen und dient in strategischen Ansätzen wie Inbound Marketing häufig als Fixpunkt. Im Gegensatz dazu umfasst die Customer Journey nicht nur die Kaufentscheidung, sondern auch die Nutzung und Ausweitung der Lösung.
Das Phasenmodell von Forget the Funnel ist auf B2B-SaaS-Firmen zugeschnitten. Es teilt die Customer Journey in drei Hauptphasen, die jeweils zweigeteilt sind:
- Struggle: Der Kunde identifiziert ein Problem und beschließt, diesen Zustand beenden zu wollen. Er begibt sich auf die Suche nach Lösungen, vergleicht seine verfügbaren Optionen (Produkte/Services & Anbieter) und beginnt, Interesse an einer Software zu entwickeln. Dies äußert sich u. a. darin, dass er die Website studiert und einen kostenlosen Test-Account anlegt.
- Evaluation: Die von der Entscheidung betroffenen Mitarbeitenden nutzen den Test-Account und lernen die Vorteile des Tools kennen (First Value). Im Idealfall merken sie, dass es sich dabei um die Lösung handelt, die sie für ihr Problem benötigen (Value Realization).
- Growth: Der Kunde integriert die Software in seine Organisation, profitiert von den versprochenen Vorteilen und verwendet sie ggf. in weiteren Unternehmensbereichen (Continued Value). Im Rahmen der Nutzung stellt er bestenfalls fest, dass sein Tool weitere Vorteile bietet, die bei der Auswahl noch nicht im Vordergrund standen (Value Growth).
Touchpoints in der Customer Journey
Im Rahmen ihrer „Reise“ kommen Kunden an zahlreichen Punkten mit der Marke, den Mitarbeitenden und den Angeboten eines Anbieters in Kontakt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Touchpoints. Laut einer Studie des Marketingforschers Franz-Rudolf Esch gibt es im digitalen Zeitalter mehr als 200 solcher Berührungspunkte – Tendenz steigend. Die Herausforderung besteht darin, sich an jedem Touchpoint auf die Anforderungen der Zielgruppe auszurichten und so eine optimale Customer Experience zu bieten. Das ist aufgrund der Masse leichter gesagt als getan.
Unternehmen benötigen zunächst einen Überblick über ihre Touchpoints. Hierbei hilft das sogenannte EPOMS-(Earned, Paid, Owned, Managed, Shared)-Modell:
- Earned Touchpoints: Verdiente Aufmerksamkeit in externen Quellen, z. B. durch gute Bewertungen auf Kundenportalen & in Social Media, positive Presseberichte oder Empfehlungen.
- Paid Touchpoints: Bezahlte Aufmerksamkeit in externen Quellen, z. B. in Form von Anzeigen, Google Ads, TV-Werbung, Plakaten oder Bannerwerbung.
- Owned Touchpoints: Unternehmenseigene Berührungspunkte, z. B. die Website, Kundenmagazine, Blog Posts, Online-Shops oder das Firmengebäude.
- Managed Touchpoints: Vom Anbieter beeinflussbare externe Touchpoints, z. B. Social Media Profile, Applikationen in externen App-Stores, Call-Center oder Messestände.
- Shared Touchpoints: Vom Anbieter verbreitete Informationen, z. B. Value Content wie Whitepaper, Erklärvideos, Social Media Posts, Gastartikel in Magazinen oder Forenbeiträge.
Eine Übersicht zu den wichtigsten Kontaktpunkten hilft, Marketing- und Vertriebsmaßnahmen zu steuern. Um sich auf jedem Kanal auf seine Zielgruppe auszurichten, müssen Anbieter darüber hinaus verstehen, welche Anforderungen ihre Kunden in den einzelnen Phasen der Customer Journey an diesen Touchpoints aufweisen. Dafür braucht es eine ausführliche Analyse (dazu gleich mehr).
Warum ist die Customer Journey für das Marketing wichtig?
Auch im B2B-Bereich gibt es aus Kundensicht drei Hauptfaktoren, die die Kaufentscheidung beeinflussen:
- Qualität,
- Preis und
- Customer Experience (CX).
Produktfunktionen (bzw. die Ausgestaltung von Dienstleistungen) unterscheiden sich im B2B-Bereich oft nur in Nuancen. Dasselbe gilt für den Preis. Zum entscheidenden Hebel für die Abgrenzung vom Wettbewerb entwickelt sich stattdessen das Erlebnis, das Entscheiderinnen und Entscheider während der Kundenreise erleben. Große B2C-Anbieter wie Amazon oder Apple haben die Messlatte für eine positive CX in den vergangenen Jahren immer höher gelegt. Dies spiegelt sich auch im B2B-Bereich wider und hat die Erwartungen an das Kundenerlebnis verändert.
Der Anspruch, den Geschäftskunden an Anbieter stellen, ist ebenso gewachsen wie der Einfluss, den Entscheiderinnen und Entscheider auf den Erfolg dieser Anbieter nehmen. Man spricht in dem Kontext auch von „Customer Empowerment“. Kunden wissen dank des Erfolgs von Content Marketing nicht nur wesentlich besser über die Vorzüge und Funktionsweisen eines Angebotes Bescheid. Da sie sich online Feedback geben, Erfahrungen teilen und über Alternativen diskutieren, beeinflussen sie darüber hinaus das Bild von einem Anbieter (Vgl. Earned Touchpoints).
Auch deswegen ist eine positive CX so wichtig. Schließlich kann ein unzufriedener Kunde dafür sorgen, dass andere sich für einen Wettbewerber entscheiden.
Die Customer Journey analysieren
Eine positive CX können Anbieter ihren Kunden nur bieten, wenn sie deren Customer Journey im Detail verstehen:
- Welches Problem wollen Geschäftskunden mit der Lösung beseitigen?
- Welche Anforderungen stellen sie an die Lösung?
- Welche Aspekte des Angebotes sind ihnen besonders wichtig?
- Über welche Quellen informieren sich die Mitglieder des Buying Centers?
- Welche Informationen benötigen sie, um das Angebot sowie alternative Lösungen einzuschätzen?
- Warum entscheiden sich Kunden nicht für eine Alternative?
- Was können Kunden mit der Lösung tun, was vorher unmöglich war?
Die besten Antworten auf diese Fragen ergeben sich aus Interviews mit Kunden, die sich vor Kurzem für das Angebot des Anbieters entschieden haben. Ziel dieser Gespräche ist, die „Buyer’s Story“ der Befragten zu verstehen. Mithilfe von Buyer-Persona- und Jobs-to-be-Done-Analysen lassen sich darauf aufbauend Marketingstrategien entwickeln, die sich am Verhalten der wichtigsten Kundentypen orientieren.
Zusammengefasst
- Als Customer Journey bezeichnet man im Marketing die Gesamtheit aller Interaktionen, die Kunden im Kontakt mit dem Lösungstyp, der Marke, dem Angebot und den Mitarbeitenden eines Anbieters erleben.
- Entlang der Customer Journey gibt es zahlreiche Kontaktpunkte, an denen Unternehmen mit einem Anbieter in Berührung kommen. Ziel ist, an jedem dieser Punkte eine positive Customer Experience zu bieten.
- Dies gelingt Unternehmen am leichtesten, wenn sie die Customer Journey der wichtigsten Kundentypen analysieren. Dafür eignen sich Buyer-Persona- und Jobs-to-be-Done-Analysen. Darauf aufbauend erfolgt die Entwicklung oder Optimierung bestehender Maßnahmen und Prozesse.