Product-led Growth (PLG) zählt bei B2B-Software-as-a-Service-Anbietern zu den heißesten Ansätzen, um neue Kunden zu gewinnen. Sich beim Wachstum vorrangig auf sein Produkt zu fokussieren, genügt jedoch nicht. Stattdessen müssen Software-as-a-Service-(SaaS)-Firmen einen strategischen Unterbau schaffen, der die Schwächen des PLG-Konzeptes ausgleicht: Der Go-to-Market gelingt mit Customer-led Growth.
Was ist Product-led Growth?
Vereinfacht gesagt basiert Product led Growth auf der Idee, ein B2B Produkt vor dem Kauf auszuprobieren – meist in Form von Freemium- oder Free-Trial-Accounts. Während der Nutzung erleben Anwender:innen die Vorteile dieser Lösung. Dazu werden sie innerhalb des Produkts animiert, sich für Upgrades zu entscheiden. Ziel dieser Wachstumsstrategie ist also, dass das Produkt sich in gewisser Hinsicht von selbst verkauft. Beispiele für dieses Vorgehen finden sich bei Zoom oder Unternehmen wie Slack. Dies zeigt auch die nachfolgende Definition vom Vordenker Wes Bush.
Vertriebsorientiertes Wachstum (SLG) als Vorstufe
PLG hat sich vor allem in B2B-SaaS-Unternehmen bewährt. Das gilt sowohl für etablierte Unternehmen als auch für Startups. Um dies zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit.
In den Anfangsjahren war Software-as-a-Service ungewöhnlich. Die Kunden mussten das Modell, hochwertige Business-Software online zu nutzen, erst verstehen und akzeptieren. In vielen Fällen mussten sie auch ihr Team und Vorgesetzte überzeugen. Daher verkauften sich die Lösungen nicht von allein. Stattdessen musste die Vertriebsabteilung erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisten. Dementsprechend bauten Vorreiter des Modells (z. B. der CRM- und Marketing Automation Anbieter Salesforce) riesige Vertriebs-Teams auf.
SaaS-Companys setzten also auf Sales-led Growth (SLG). Dieses Wachstumsmodell basiert auf den Anstrengungen des Salesteams. Marketer:innen sorgen zwar für Bekanntheitsgrad und später auch für Leads, aber der eigentliche Erfolgsfaktor heißt vertriebsorientiertes Wachstum.
Von SLG zu PLG
Jedes Unternehmen, das die Lösung nutzen wollte, musste folglich mit der Vertriebsabteilung oder am Anfang den Gründern reden. Andere Wege des Vertragsabschlusses gab und gibt es bei Sales-led-Organisationen nicht (oder kaum). Die Hauptverantwortung für das Wachstum liegt stattdessen bei den Verkäufer:inne. Um ein sehr schnelles, exponentielles Wachstum zu erzielen und hoch zu skalieren, kommt ihr Vertriebsteam kaum hinterher. Daher musste ein neuer Ansatz her, um den Umsatz zu steigern: Produktbasiertes Wachstum vs. von Sales generiertes Wachstum.
Nach einer Weile begannen die ersten SaaS-Anbieter, mit kostenlosen oder sehr günstigen Einstiegsmodellen zu operieren. Das Freemium-Modell wurde geboren. Es ermöglicht die langfristige, kostenfreie Nutzung von Basisfunktionalitäten. Auch ohne Abonnement sind diese Versionen sehr gut nutzbar, so dass Mitarbeiter:innen sie regelmäßig verwenden.
Ähnlich verhält es sich mit zeitlich beschränkten, kostenlosen Testversionen (Free Trial), bei denen potenzielle Kunden das Produkt bereits ohne oder mit wenigen Einschränkungen testen können.
PLG erlaubt es in beiden Modellen, eine Nutzererfahrung mit dem Produkt zu machen und es intensiv auszuprobieren, bevor sie es lizenzieren.
PLG-Unternehmen: Erfolgreich wachsen aus der Software heraus
An dieser Stelle kommen wir zum Kern von PLG: Positive Erlebnisse mit einem Online-Tool begründen die Logik von Product-led Growth. Im Gegensatz zu traditionellen Vertriebsmodellen haben die User schon erlebt, dass die Software einfach zu bedienen oder reibungslos in ihre Prozesse integrierbar ist. Gleichzeitig erkennen Nutzer:innen, dass es in ihren Versionen bestimmte Features fehlen, was die den Mehrwert und die User Experience einschränken. Sei es:
- beim Arbeiten in Teams (z. B. Figma oder Zoom)
- quantitative Beschränkungen (z. B. Anzahl an Farben oder Boards in Trello)
- funktionale Restriktionen (z. B. HubSpot mit seinem kostenlosen CRM)
- eingeschränkte Speicherkapazität (z. B. Nachrichten in Slack oder Dateien in Dropbox)
- Werbeeinblendungen (z. B. Spotify) oder
- eine fehlende Integration in andere Business Tools und damit eingeschränkte Produktivität
PLG-Unternehmen versuchen also aus dem Produkt heraus ihr Wachstum zu fördern. Kundenakquise, -bindung und -ausbau sind im Produkt selbst angelegt: Der nächste Upgrade sowie die Viralität im Weiterempfehlen sind immer mitgeplant.
Ein möglicher Upgrade-Pfad des produktorientierten Vertriebsmodells sieht folgendermaßen aus:
- Anfänger:innen beginnen bei einer Gratis-Version (Freemium),
- wechseln dann zu einer kostenpflichtigen Einsteiger-Variante, die neue Features enthält,
- entscheiden sich später für die Advanced-Lösung, die sie an andere Abteilungen weiterempfehlen und
- bringen schließlich das ganze Unternehmen in eine Enterprise-Version.
PLG Anbieter schrauben an der genauen Zuordnung der Funktionen bzw. Möglichkeiten und optimieren mit diesem kundenrientierten Ansatz die Konversionsrate von Stufe zu Stufe, da sie jeweils sinnvoll mehr Wert eröffnen. Zugleich ist PLG ein Modell, ein Produkt zu entwickeln, das noch nicht fertig definiert ist. Vorangetrieben wird die Softwareentwicklung mit ihren Produktfunktionen aufgrund des Kundenfeedback. Dieses dient zugleich zur Optimierung der Kundenbindung- Umgekehrt reduzieren Anbieter aufgrund von Feedback die Rate des Churn, d. h. der Abwanderung zu anderen Tools. Dadurch steigt der Umsatz des SaaS-Spezialisten mit einem einzelnen Account über Upgrades von 0 auf mehrere Tausend Euro – pro Monat.
In den meisten Fällen funktioniert das bis zum Enterprise-Level, ohne dass die Vertriebsabteilung involviert wird. Erst, wenn der Einkauf ein individuelles Angebot braucht oder kundenindividuelle Preise notwendig werden, schaltet sich der Sales ein – und zwar dann, wenn der Kunde diesen Schritt selbst über ein Formular angefordert hat. Der vertriebliche Aufwand geht also unterhalb des Enterprise-Levels für die meisten Upgrades gegen null; von Online-Chats, Produkt-Demos oder Support-Anfragen abgesehen.
Was sind die Vorteile von Product led Growth?
Traditionell wurde ein SaaS-Produkt an Top-Level-Entscheider:innen (C-Level) verkauft. Es ging stets um hohe Investitionen, dem indirekten Nachweis des Value für Anwender:innen und eine langfristige Vertragsbindung. So setzt PLG darauf, einzelne User oder Anwendergruppen in Abteilungen zu akquirieren, werden diese zu Entscheider:innen.
Entsprechend ihres Aufgabenbereichs sind deren Kompetenzen zwar beschränkt. Aber sie genügen, um eine Software für das Team per Kreditkarte zu lizensieren. Erst ab einem größeren Verbreitungsgrad wird die Entscheidung aufwändiger und die Conversion herausfordernder. Aber dann ist der Nutzen bereits intern bewiesen. Eine Product led Growth Strategie stellt den Vertrieb also quasi auf den Kopf und setzt bei seinem kundenorientierten Ansatz nicht zuletzt auf interne Mundpropaganda bzw. Weiterempfehlungen in den Anwenderorganisationen.
Dabei ist zu beachten, dass sich die Entscheidungsverantwortung bei Software-Lösungen zunehmend vom Chief IT Officer hin zu den Fachbereichsleitungen verlagert. Zum Teil ist das IT-Budget einzelner Fachabteilungen schon höher als das der IT. Mit Freemium-Angeboten verlagert sich die Entscheidung nochmal weiter an einzelne Mitarbeiter:innen, die sich für kostenlose Versionen registrieren und später die Nutzung im Unternehmen initiieren. Auch die Bindung an ein Produkt wird im Unternehmen vorangetrieben, ohne dass der Anbietervertrieb sich einmischen muss.
Die Konsequenz dieses Vorgehens: Niedrigere Costs of Acquisition (CAC; Kosten pro gewonnenem Kunden).
Was soll daran falsch sein?
Zunächst einmal nichts. Der Ansatz hat sich bei vielen SaaS-Unternehmen bewährt. Allerdings verführt der in den Produkten angelegte Upgrade-Pfad zu einem verhängnisvollen Fehler: Viele Software-as-a-Service-Anbieter neigen dazu, für ihre Kunden zu denken. Stichwort: Wir kennen unsere Kunden, weil sie unser Produkt nutzen, Dies führt früher oder später zu Problemen.
Wenn alle Abteilungen vom Produkt aus denken, gerät der Kunde schnell in Vergessenheit:
- Das Produkt-Team fragt sich, welche Funktionen User wohl gut gebrauchen könnten.
- Der Vertrieb überlegt, wie sich Kunden aufgrund der Produktnutzung qualifizieren und konvertieren lassen.
- Das Marketing entwickelt Kommunikationsstrategien, die der Zielgruppe den (intern festgelegten) Nutzen verdeutlichen.
Was Kunden benötigen, um ihre Herausforderungen (ihre „Jobs“; Vergleiche Jobs-to-be-Done) zu lösen, kommt so nicht zwangsläufig heraus. Das wirkt sich früher oder später negativ auf die Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie die Neukundengewinnung aus..
Lücken im Kundenwissen schließen
Dabei ist zu bedenken, dass der direkte Kontakt mit Kunden in einer produktzentrischen Strategie ohnehin minimiert wird. Die Vertriebsexpert:innen beschränken sich zumeist auf große Accounts. Deren Kundenbindung muss jedoch nicht repräsentativ sein. Beispielsweise spricht bereits die Größe von Unternehmen mit Enterprise-Lizenzen gegen eine Ableitung von Erkenntnissen, die auch für kleinere Firmen und Neukunden gelten.
Die Vertriebsprofis haben folglich einen sehr eingeschränkten Blick auf die kundenseitigen Entscheidungsprozesse. Das gleiche gilt für den Bereich Customer Success. Einerseits, weil die Kolleg:innen aus beiden Abteilungen sich effektiv nur auf einen kleinen Ausschnitt der Kundenbasis fokussieren. Andererseits, weil sie erst spät im oder gar nach Abschluss des Entscheidungsprozesses mit Kunden interagieren.
Der Ansatz kommt wie bereits erwähnt an seine Grenzen, wenn es um große Unternehmen mit komplexen Entscheidungs- und Beschaffungsprozessen geht. Das Produkterlebnis jedes Einzelnen ist ein wichtiger Faktor. Doch für große Enterprise-Kunden muss auch das Entscheidungserlebnis in ihrem komplexen Kontext passen.
Customer led Growth kann Schwächen von PLG ausmerzen
Was viele Produktunternehmen vernachlässigen, ist der tatsächliche Kundennutzen. Welche Anforderungen Anwender:innen hinsichtlich Funktionen, Usability und Onboarding haben, weicht häufig erstaunlich davon ab, was SaaS-Startups und Scaleups in internen Workshops definieren oder auf Events proklamieren. Ihre Produkte und Services sind folglich oft bei Weitem nicht so gut, wie sie das sein könnten.
Dieses Problem können produktorientierte Unternehmen mithilfe von Customer-led Growth (CLG) lösen. Diese Go-To-Market-Wachstumsstrategie ist die ideale Erweiterung für PLG. Es handelt sich um einen strategischen Ansatz zur Marktbearbeitung, bei der Produktentwicklung sowie Vertriebs- und Marketingmaßnahmen auf Basis von Kundenwissen konsequent auf die Bedürfnisse und den Kaufentscheidungsprozess von Kunden ausgerichtet werden.
Während in vielen SaaS-Unternehmen die Produktabteilung die Weiterentwicklung des Produkts vorgibt (und damit den Kundennutzen), läuft es bei CLG umgekehrt. Zuerst werden die Kunden befragt, dann Produktpläne erstellt und umgesetzt. Zugleich erfolgt die Kommunikation der Insights aus den Kundenbefragungen.
Demnach sind Kunden und die Berücksichtigung ihrer Sicht die zentralen Treiber des Unternehmenswachstums. Indem man sich so ausrichtet, wie es die Zielgruppe will. Im Entscheidungsprozess, in Funktionen, im Content, in allen Argumenten. Dazu erschließt CLG breites Kundenwissen, qualifiziert und strukturiert es und bringt dann die passenden Informationen, Argumente und Begriffe in die Customer Experience.
Im Wettbewerb haben B2B-SaaS-Firmen vor allem drei Hebel: Preis & Konditionen, Funktionalität sowie Kundenerlebnis. Da Preise und Funktionalitäten in der Regel schnell kopiert werden, bleibt die Customer Experience als entscheidender Hebel übrig. Hier können Konkurrenten auch langfristig gesehen kaum abkupfern, denn sie erleben den Kontakt mit Ihnen als Anbieter nicht. Diesen Zustand will CLG erreichen.
Was unterscheidet beide Ansätze?
In einer Product-led Growth-Strategie befragen sich Produktanbieter vor allem selbst: Welches Feature könnte der Kunde gut gebrauchen? Was würde uns vom Wettbewerb differenzieren? Wo sollten wir nachziehen?
Diese Strategie basiert jedoch auf Annahmen sowie unstrukturierten Eindrücken, beispielsweise aus Demos, Service-Calls oder Kundengesprächen. Hinzu kommen oft Daten aus Tools wie Google Analytics, die darauf fokussiert sind, das Verhalten von Interessent:innen nachzuvollziehen.
Der Qualitätsunterschied, den der CLG-Prozess liefert, ergibt sich aus der Analyse der Interviews und Befragungen. Während produktfokussierte Firmen sich in Workshops oder regelmäßigen Meetings zusammensetzen und ihre Meinungen austauschen, nutzt der kundenzentrierte Ansatz strukturierte Analysen, um produkt-, vertriebs- und marketing-relevante Insights zu generieren. Dazu zählen Buyer Personas nach dem Ansatz von Adele Revella sowie das Jobs-to-be-done-Framework.
CLG und PLG passen gut zusammen
Customer-led bildet ein strategisches Fundament basierend auf tatsächlichen Kundenaussagen. Es analysiert, wie (Ideal)Kunden in der Vergangenheit vorgegangen sind, gruppiert dieses Entscheidungsverhalten und macht es so für die künftige Ansprache verfügbar.
Product-led Growth profitiert von dieser strategischen Grundlage, indem die Ausrichtung sich nicht auf interne Annahmen stützt, sondern auf das Entscheidungserlebnis der besten Kunden.
Fazit: Warum SaaS Unternehmen von einer Strategie für CLG profitieren
Der Product-led Ansatz ist in vielen B2B-SaaS-Unternehmen ein Erfolgsmodell. Allerdings entstehen Produktinnovationen und Services bei dieser Go-to-Market-Strategie fast immer auf Basis interner Mutmaßungen, die oft wenig mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer:innen zu tun haben. Dies wirkt sich früher oder später negativ auf die Customer Experience sowie die Attraktivität des Produktes aus.
Sich allein auf sein Produkt (ggf. in Verbindung mit einem starken Vertrieb) zu verlassen, ergibt daher keinen Sinn. Die nächste Stufe, die Software-Companies in den kommenden Jahren erklimmen müssen, heißt Customer led Growth.
Sicherlich lässt sich die Customer Experience in einem produktzentrischen Ansatz aufgrund eigener Eindrücke über die Zeit in mehreren Runden optimieren. Indem wir bei CLG die Kunden nach ihrem Entscheidungsverhalten befragen, beschleunigen wir diesen Prozess. Was aus deren Sicht den Unterschied macht, erfahren wir über die Storys gewonnener Kunden (Storylistening). Dieser zeitliche Vorteil kann für die Unternehmensentwicklung entscheidend sein.
CLG ermöglicht es B2B-SaaS-Unternehmen, ihre Produktentwicklung sowie sämtliche Marketing- und Vertriebsmaßnahmen konsequent auf die Customer Journey auszurichten. Dieser Pfad führt nicht nur zu besseren Produkten und zufriedeneren Kunden, sondern bietet die Chance, sich qualitativ vom Wettbewerb abzugrenzen.