Content zählt zu den wichtigsten Instrumenten im modernen B2B-Online-Marketing. So etwa bei der Lead-Generierung via Inbound Marketing. Hierbei nutzen Unternehmen entscheidungsrelevante Inhaltsangebote, um potenzielle Kunden zu einer Registrierung zu bewegen und anschließend im Lead Nurturing für den Kontakt mit dem Vertrieb zu qualifizieren. Demgegenüber steht ein vergleichsweise junges Konzept aus den USA, bei dem Content den Umsatz auf andere Weise ankurbeln soll: Demand Generation.
Was ist Demand Generation?
Demand Generation (Deutsch „Nachfrage-Generierung) ist ein strategischer Ansatz, den der US-Amerikaner Chris Walker, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Refine Labs, entwickelt hat. Im Kern geht es darum, mithilfe von hochwertigen, frei zugänglichen Inhalten ein so starkes Interesse an den Produkten bzw. Dienstleistungen eines Unternehmens zu erzeugen, dass Kunden von selbst den Weg zum Vertrieb des Anbieters gehen.
Im Gegensatz zur klassischen Lead-Generierung setzen Unternehmen bei Demand Generation nicht auf registrierungspflichtige Inhalte wie Whitepaper oder E-Books, auch nicht auf ein E-Mail-basiertes Lead Nurturing und in weit geringerem Maße auf Marketing-Automation- oder andere Software-Lösungen.
Statt Kontakte anhand von Download-Formaten („gated content“) in den Marketing- bzw. Vertriebstrichter zu führen, veröffentlichen Unternehmen ihren Content ohne nennenswerte Restriktionen auf ihrer Webseite, auf Social-Media-Plattformen wie LinkedIn sowie als Podcasts oder Videos. In der Hoffnung, dass die Inhalte konsumiert, für gut befunden, beim Entscheiden genutzt und bestenfalls im Netzwerk des potenziellen Kunden geteilt werden.
Nachfragegenerierung fußt auf vier Säulen
Demand Generation zielt darauf ab, die Zahl verkäufergesteuerter Sales-Prozesse zu steigern. Operativ fußt diese Marketing-Strategie auf vier Säulen:
1. Analyse:
Anhand von Kundeninterviews und einer Analyse ihrer bisherigen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen definieren Unternehmen die Themen und Kanäle, die für ihre Zielgruppen relevant sind.
2. Content-Produktion:
Darauf aufbauend erstellen sie kontinuierlich eine möglichst hohe Zahl an hochwertigen Content-Angeboten in unterschiedlichen Formaten.
3. Content-Seeding:
Sie veröffentlichen die Inhalte über alle Kanäle, die für ihre Zielgruppen von Bedeutung sind. Eine Komponente kann dabei der Aufbau einer eigenen Community sein.
4. Performance-Messung und -Optimierung:
Sie überprüfen ihre Ergebnisse und ziehen daraus Rückschlüsse für die Verbesserung von Produktion und Distribution.
Richtig umgesetzt, senkt Demand Generation die Kosten für die Kundenakquise. Marketing und Vertrieb müssen weniger Aufwand in die Qualifizierung und den Abschluss von zu schlechten, online generierten Leads investieren, sondern verlassen sich auf die Wirkungskraft ihrer Inhalte. Die Ressourcen, die dadurch frei werden, können Marketing und Sales stattdessen für andere Aufgaben einsetzen.
Welche Probleme soll Demand Generation lösen?
Auch bei Anbietern komplexer B2B-Produkte und Dienstleistungen sind Kunden immer seltener bereit, sich für Content zu registrieren. Schuld daran sind vor allem negative Erfahrungen, die Entscheider:innen in den vergangenen Jahren mit Inbound Marketing gesammelt haben. Viele wurden bereits wenige Tage nach dem Download vom Vertrieb des Anbieters kontaktiert und in ein Sales-Gespräch gedrängt, für das sie nicht bereit waren. Diese Erfahrungen haben ihr Vertrauen in Unternehmen, mit denen sie bis dato keinen Kontakt hatten, stark reduziert.
Darüber hinaus finden Entscheidungen immer stärker im „Dark Social“-Bereich statt. Die Mitglieder eines Buying Centers tauschen sich mit anderen Expert:innen aus und nutzen bei ihrer Recherche am liebsten frei zugängliche Informationsquellen (z. B. Social Media, Fachbeiträge, Foren, Kongresse). Demand Generation will dieses Entscheidungsverhalten bedienen und baut darauf, dass Kunden aufgrund der hohen Qualität von geschickt gestreutem Content „von selbst kommen“.
Lead- vs. Nachfragegenerierung
Gleichzeitig fokussieren sich Unternehmen bei Methoden wie Inbound Marketing laut Walker zu stark darauf, möglichst viele Leads zu generieren. Diese sind seiner Ansicht nach jedoch überwiegend nutzlos für den Vertrieb. Schließlich ziehen registrierungspflichtige Angebote immer auch Kontakte an, die aus Sales-Sicht irrelevant sind. Dazu zählen Studierende, Mitarbeiter:innen von Konkurrenzunternehmen und Journalist:innen.
Vor allem aber landen auch reihenweise Personen in den Marketing-Automation-Systemen, die keine Investitionen anstreben (oder erst in ferner Zukunft). Solche Kontakte geraten in vielen Unternehmen nichtsdestotrotz in den Vertriebstrichter und erzeugen Aufwand, der für den Sales verständlicherweise frustrierend ist.
Für welche Unternehmen ist Demand Generation geeignet?
Demand Generation funktioniert vor allem für Unternehmen, deren komplexe Produkte und Dienstleistungen kundenseitig mit einem aufwendigen, mehrmonatigen Entscheidungsprozess verbunden sind. Refine Labs nutzt den Ansatz vor allem für die Zusammenarbeit mit Software-as-a-Service-Unternehmen, die wachsen wollen und in ihrer Branche mit großen, etablierten Konkurrenten um Marktanteile kämpfen. Der durchschnittliche Auftragswert liegt bei diesen Firmen zwischen 30.000 und 150.000 US-Dollar.
Effektiv ist Demand Generation darüber hinaus für HighTech- und Professional-Services-Unternehmen. Das gilt insbesondere für Consulting-Firmen. Dieser sind aufgrund der Charakteristik ihres Angebotes prädestiniert dafür, potenziellen Kunden neue, hilfreiche Ansichten in Form von Content zu präsentieren. Zugleich zielen sie in der Regel auf Entscheider:innen ab, bei denen Peer Networking seit jeher eine große Rolle spielt.
Welche Kriterien muss Content für Demand Generation erfüllen?
Kunden lassen sich im Sinne von Demand Generation nur dann von einer Zusammenarbeit überzeugen, wenn Content-Angebote für Kunden tatsächlich relevant und hilfreich sind. Diese Voraussetzung lässt sich nicht mit „Standardinhalten“ erfüllen.
Um die entscheidenden Qualitätskriterien zu verdeutlichen, hilft ein Blick auf die fünf Typen kommerzieller Informationen, die von Autoren des Marktanalyse-Unternehmens CEB (heute: Gartner) in deren Buch „The Challenger Customer“ zusammengetragen wurden:
Die ersten beiden Stufen des Modells sind für Demand Generation irrelevant. Während „General Information“ Allgemeines über Unternehmen und dessen Angebote beinhalten (z. B. „Über uns“-Seiten), verbirgt sich hinter dem Begriff „Accepted Information“ Konsenswissen, das in dieser Form auf zahlreichen Webseiten zu finden ist. Mit einem Blogbeitrag, der die Vorteile von Cloud Computing darlegt, werden z. B. SaaS-Firmen höchstwahrscheinlich niemanden dazu bringen, von sich aus auf sie zuzugehen.
Effektiv sind für Demand Generation lediglich die letzten drei Stufen des CEB-Modells:
- Thought-Leader-Content vermittelt Kunden bislang unbekannte Ansichten zu einem Themengebiet. Unternehmen müssen damit nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Wenn eine Consulting-Firma in ihrem Blog einen selbst entwickelten Beratungsansatz erläutert, erfüllt sie damit beispielsweise bereits die Kriterien für Thought Leadership.
- Insights-Content enthält nicht nur neue Ansichten zu einem Thema, sondern macht einen Handlungsbedarf klar. Unternehmen offenbaren in ihren Inhalten ein tiefes Verständnis für die Branchen und Herausforderungen potenzieller Kunden und vermitteln diesen, dass sie etwas verändern müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
- Commercial-Insights-Content sind Informationsangebote, die darüber hinaus nahelegen, dass aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale nur der Anbieter des Contents die Herausforderungen des Kunden bewältigen kann. Das mag nicht jedem Unternehmen leicht fallen. Trotzdem sollten Content-Produzent:innen diesen Aspekt stets im Hinterkopf behalten.
In welchen Formaten Unternehmen Inhalte veröffentlichen, hängt bei Demand Generation von den Vorlieben der Zielgruppen ab. Typisch sind neben Blogbeiträgen große Mengen an Social-Media-Content (z. B. organischer LinkedIn-Content) und Content-Formate wie Podcasts und Videos. Effektiv sind darüber hinaus Case Studys, in denen Anbieter Erfahrungen anderer Kunden präsentieren.
Wie finden Sie heraus, welche Themen Ihre Zielgruppe interessieren?
Im Content Marketing fokussieren sich Unternehmen leider immer noch zu häufig auf sich selbst sowie auf die Ziele, die sie mit ihren Inhalten erreichen möchten. Der Grund dafür ist simpel: Strategie- und Themenplanung sind fast immer das Resultat interner Überlegungen.
Marketing und Vertrieb setzen sich in einem Workshop zusammen und definieren, welche Themen für ihre Kunden von Bedeutung sein könnten. Auf diesen Mutmaßungen basieren dann teure, aber nicht selten ineffiziente Content-Programme.
Für erfolgreiches Content Marketing – und Demand Generation im Besonderen – ist dieses Inside-Out-Vorgehen ungenügend. Im Sinne eines Customer-led Growth müssen Unternehmen mit den Menschen sprechen, die am besten über die kundenseitigen Entscheidungsprozesse Bescheid wissen: Die Mitarbeiter:innen des Kunden, die an der Auswahl eines Produktes bzw. einer Dienstleistung direkt beteiligt waren.
Nachfragegenerierung mit Jobs-to-be-Done
Systematisch erarbeitetes Kundenwissen ist gerade für Demand Generation unabdingbar. Für diese Aufgabe eignen sich Jobs-to-be-Done-Analysen auf Basis qualitativer Interviews und quantitativer Kundenbefragungen. Hierbei ordnen Unternehmen jedes ihrer Angebote bestimmten Jobs zu, die der Kunde damit erfüllen möchte. Anhand dieser Jobs lassen sich dann u. a. die wesentlichen Themen und Begriffe für die Content-Planung definieren.
Wie sorgen B2B-Unternehmen für die nötige Reichweite?
Die Umsetzung von Demand Generation erfordert Geduld und Durchhaltevermögen. Gerade wenn Unternehmen quasi bei null starten, können Monate oder gar Jahre vergehen, bis sie eine Community aufgebaut haben und für ihren Content eine geeignet hohe Reichweite erzielen.
Einen Königsweg gibt es hierfür leider nicht. Bewährt hat sich aber u. a. eine Marketing-Disziplin, die der Demand Generation zuzuordnen ist und seit einigen Jahren auch in Deutschland immer bekannter wird: Account-based Marketing (ABM).
ABM ist eine Online-Marketing-Strategie, bei der Unternehmen ihre Verkaufsbotschaften und Argumente gezielt an zuvor festgelegte Accounts, respektive Account-Segmente, senden. Der Ansatz umfasst eine Vielzahl an Disziplinen, die für erfolgreiche Demand Generation hilfreich sind. Beispielsweise die Dynamisierung von Webseiten, die mithilfe von Software-Tools je nach Besucher:in flexibel auf dessen/deren Branche zugeschnitten werden.
Wichtiger Bestandteil von ABM ist das Content-Seeding, also die gezielte Verbreitung von Inhalten über Kanäle, die für Accounts relevant sind. Ziel ist es, die Reichweite in Form von Views, Traffic, Likes und Shares sukzessive zu erhöhen. Hierfür sind unterschiedliche Plattformen bzw. Handlungsfelder entscheidend. Dazu zählen:
- Suchmaschinenoptimierung: Die Basis für eine gesteigerte Reichweite ist, auf organischem Weg bei kundenrelevanten Suchbegriffen auf den vorderen Plätzen der Suchmaschinen-Rankings zu landen.
- Performance Marketing:Gezielt gestreute Anzeigen – sei es bei Suchmaschinen, in Fachmagazinen oder im Bereich Social Media – erlauben es, Accounts bzw. Account-Segmente auf für sie relevanten Kanälen zu erreichen.
- Public Relations:Gastbeiträge in Fachbüchern und -magazinen sowie auf Online-Portalen und in Social-Media-Gruppen ermöglichen es, die eigene Expertise in geeigneten Medien unter Beweis zu stellen.
- Mailings:Neuer Content sollte darüber hinaus via Mailings an Bestandskunden und -kontakte versendet werden.
Chris Walker fordert, dass Unternehmen sich für Demand Generation zumindest teilweise zu Medienakteuren entwickeln. Entscheidend ist eine kontinuierliche Pflege der Kundenbeziehungen.
Welche Kanäle dafür geeignet sind, hängt vor allem von den Analyse-Ergebnisse ab, die das Marketing zu Beginn seines Demand-Generation-Programms durchgeführt hat.
Fazit
Demand Generation will die Schwächen der klassischen Lead-Generierung ausgleichen. Statt mit Content kontinuierlich Kontakte zu sammeln und für den Vertrieb zu qualifizieren (was in der Praxis ungenügend passiert), investieren Unternehmen ihre Ressourcen wesentlich stärker in den Aufbau ihrer Marke, ihrer Thought Leadership und ihrer Community.
Diese Investitionen rentieren sind in der Regel nicht sofort. Ihr Return wird über die Zeit aufgebaut. Dementsprechend ist der Ansatz sicher nicht für jedes Unternehmen geeignet. Es ist jedoch eine Strategie, die bislang durchgeführte Marketing-Maßnahmen ergänzen kann. Auf diese Weise sind mit etwas Geduld beeindruckende Ergebnisse möglich.