Der Begriff Account-based Marketing (ABM) suggeriert, dass es sich um eine reine Marketing-Disziplin handelt. Das stimmt nicht. Zum Erfolg wird ABM nur dann, wenn sich daran auch andere Fachabteilungen beteiligen; allen voran der Vertrieb (Stichwort Marketing und Sales Alignment). Andernfalls ist es unmöglich, das volle Potential Ihres ABM-Programms zu schöpfen.
Leider gibt es in vielen Unternehmen einen tiefen Graben zwischen Marketing und Vertrieb. Das Marketing kümmert sich um die Generierung und Entwicklung von Leads, der Vertrieb um die Verkaufsabschlüsse. Größtenteils agieren beide Teams voneinander getrennt, ohne große Abstimmung über die Accounts. Das erschwert es beiden Bereichen, ihre Ziele zu erreichen.
Im Account-based Marketing ist ein solcher Graben ein gefährliches Hindernis. Daher müssen Sie vor dem Start Ihres ABM-Programms die Voraussetzungen für ein enges Zusammenspiel zwischen Marketing und Vertrieb schaffen. Das betrifft Ihre Organisation, aber auch die Kommunikation und Zusammenarbeit.
Den Vertrieb von ABM überzeugen
Zunächst müssen Sie Ihre Kolleg:innen aus dem Sales für Ihre neue Strategie gewinnen. Das gelingt Ihnen, wenn Sie auf die Vorteile von ABM eingehen, denn der Vertrieb profitiert erfahrungsgemäß besonders stark davon:
- Heißere Leads: Ihr Sales bekommt vom Marketing hochqualifizierte Leads aus Accounts, die bereits ein hohes Kaufinteresse signalisiert haben.
- Schnellere Abschlüsse: Die Leads sind in ihrem Kaufentscheidungsprozess schon sehr weit fortgeschritten. Das beschleunigt den Vertriebsprozess.
- Transparente Entscheidergremien: Da sich ABM nicht auf einzelne Personen, sondern auf das gesamte Buying Center konzentriert, werden häufig mehrere Beteiligte bearbeitet und der Sales erhält darüber Informationen.
- Größere Deals: Die Leads stammen aus lukrativen Ziel-Accounts. Das erhöht die Chance, größere Deals abzuschließen.
- Höhere Gewinne: Große Deals führen zu höheren Gewinnspannen. Das wirkt sich positiv auf die Provisionen Ihrer Sales-Mitarbeiter:innen aus.
Solche sind Argumente für Verkäufer:innen Musik in den Ohren. Eines sollten Sie jedoch nicht verschweigen: ABM verändert die Arbeit des Vertriebs. Gerade am Anfang ist dies für Ihr Vertriebs-Team ungewohnt: Es erhält weniger Leads und investiert seine Zeit stattdessen in Top-Accounts, die bereits intensiv (vor)qualifiziert worden sind.
Der organisatorische Grundrahmen
Rollen und Verantwortlichkeiten
Im ABM ergeben sich zahlreiche Aufgaben, die Sie innerhalb Ihres Unternehmens aufteilen müssen. Den Löwenanteil übernimmt das Marketing. Der Vertrieb sollte aber in eine Vielzahl an Baustellen einbezogen werden. Das beginnt bei der Strategieentwicklung und reicht bis zum operativen ABM-Tagesgeschäft.
Verantwortlichkeiten sollten Sie bereits während der Strategieentwicklung gemeinsam mit dem Vertrieb ausarbeiten. Orientierung bietet Ihnen das folgende Rollenmodell:
Marketing:
Demand Generation: Ein Teil Ihres ABM-Teams sollte sich in erster Linie um Kontaktpflege und Nachfragegenerierung (Demand Generation) in Ihren Ziel-Accounts kümmern. Diese Kolleg:innen sind u. a. für die Entwicklung und Steuerung von Full-Funnel-Marketingprogrammen sowie das Account Management verantwortlich.
Marketing Operations: Marketing-Operations-Teams überwachen das Service Level Agreement zwischen Marketing und Vertrieb. Sie stellen sicher, dass Marketing und Vertrieb wie vereinbart zusammenarbeiten (Prozesse, Rollen etc.). Dazu pflegen sie Datenbanken und betreuen das Account-Scoring.
Content Marketing: ABM setzt auf hochpersonalisierte Inhalte, die auf die Bedürfnisse und Herausforderungen von Key-Accounts und Account-Segmenten ausgerichtet sind. Solche Content-Angebote zu erstellen bzw. zu beschaffen, ist Sache des Marketings (und der Fachexpert:innen in Ihrem Unternehmen).
Produktmarketing: Verkaufsfördernde Maßnahmen mit hoher Kundenorientierung (z. B. Messaging, Produkt-Positionierung, Deal Support) gehören ebenfalls zum ABM-Aufgabengebiet des Marketings. In der Regel obliegen sie erfahrenen Produktmanager:innen.
Kundenmarketing: Nicht zuletzt sollte ein Teil Ihres Teams den Vertrieb durch gezielte Kundenbindung, Erfahrungsberichte und Referenzen unterstützen.
ABM ist eine Strategie aus dem Bereich der Demand Generation (Nachfragegenerierung). Wenn Sie darüber mehr lesen möchten, empfehlen wir Ihnen unseren Beitrag „Demand Generation im B2B Marketing„. Darin erklären wir die wichtigsten Grundprinzipien, Methoden und Strategien.
Vertrieb:
Sales Development Representatives (SDR): Sie fungieren als Brücke zwischen Marketing und Vertrieb. Bei einer neuen Anfrage befassen Sie sich mit der Überprüfung und Qualifizierung des Kontaktes (z. B. durch die Weitergabe von hilfreichem Marketing-Content). Anschließend übergeben Sie den Kontakt an die Account-Manager:innen.
Account Executives: Für die Verkaufsgespräche und -abschlüsse lukrativer Neukunden sind Account Executives verantwortlich. Da sich Ihr Vertrieb im ABM größtenteils mit lukrativen Kunden befasst, bietet es sich an, Ihre besten Verkäufer einzusetzen.
Account Manager:innen: Sie bearbeiten bestehende Accounts, die vom Marketing für Up- und Cross-Selling-Angebote qualifiziert wurden.
Weitere Vertriebsaktivitäten: Die weiteren Mitglieder Ihres Vertriebsteams halten den anderen den Rücken frei. Die Kolleg:innen beschäftigen sich u. a. mit der Gebietsverwaltung, der Account-Auswahl (in enger Abstimmung mit dem Marketing), dem Deal-Support, Verwaltungsaufgaben sowie dem System- und Datenmanagement.
Meetings und gemeinsame Aktivitäten
Marketing und Vertrieb benötigen einen organisatorischen Rahmen für die Abstimmung zwischen beiden Teams. Empfehlenswert sind nach unserer Erfahrung drei Meeting-Arten:
Wöchentliche Updates: Ihr ABM-Kernteam sollte einmal die Woche zusammen kommen und über Fortschritte und Ideen diskutieren. Es genügt, wenn hier die Bereichsleitungen sowie ein bis zwei Personen aus jeder Abteilung teilnehmen.
Monats-Meetings: Das „große Ganze“ sollten Ihre Marketing- und Vertriebsteams geschlossen alle vier Wochen in den Blick nehmen. Sie sprechen dabei über die Fortschritte und Entwicklungen auf Account-Ebene, aber auch über das Zusammenspiel zwischen Marketing und Sales.
Vierteljährliche Retrospektiven: Einmal pro Quartal sollten Sie Ihre Strategien auf den Prüfstand stellen. Dabei diskutieren Sie mit allen Beteiligten über die Resultate Ihres ABM-Programms. Sie sprechen über positive und negative Aspekte Ihrer Strategie und suchen nach Wegen, um sich im nächsten Quartal zu verbessern.
Marketing und Vertrieb müssen einander verstehen
Für welchen Meeting-Rhythmus Sie sich entscheiden, ist nicht entscheidend. Wichtig ist nur, dass Marketing und Vertrieb regelmäßig kommunizieren. Ein fester Meeting-Rahmen sorgt für Verbindlichkeit. Gerade der Vertrieb hat in der Regel viele Außentermine, die eine geregelte, abteilungsübergreifende Kommunikation erschweren.
Darüber hinaus hilft es, wenn Marketing und Vertrieb sich auch an „normalen“ Tagen gelegentlich über die Schulter schauen und unterstützen. Das Marketing könnte zum Beispiel an Verkaufsgesprächen am Telefon teilnehmen und den Verkäufer:innen Feedback geben. Ihr Marketing-Team bekommt dadurch ein besseres Gefühl dafür, welche Herausforderungen aus Endkundensicht zu lösen sind.
Sales-Teams wiederum sollten ohnehin im Boot sein, wenn das Marketing sich mit der Konzeption und Erstellung von Content und Marketing-Material befasst. Das Kundenwissen, dass der Vertrieb besitzt, ist hierbei eine wertvolle Hilfe.
Kommunikation und Ziele
Grundbegriffe und -Fragen
Unabhängig vom organisatorischen Unterbau Ihres ABM-Programms müssen Marketing und Vertrieb bei der Zusammenarbeit die gleiche Sprache sprechen. Das betrifft einerseits die wichtigsten Fachbegriffe, die Ihnen im ABM begegnen. Andererseits müssen Marketing und Vertrieb vor dem Start einige grundsätzliche Fragen beantworten:
Welcher ABM-Ansatz ist der richtige?
Es gibt verschiedene Ansätze für Account-based Marketing. Die meisten Leute denken bei ABM unbewusst an strategisches ABM. Bei dieser „Urform“ ziehen wir individuelle Marketing-Programme für einzelne Top-Accounts auf – 1:1-Marketing also. Das ist enorm effektiv, aber aufgrund des hohen Aufwands nicht für jeden leistbar.
Daher gibt es mittlerweile einige „abgeschwächte“ Varianten. Beim ABM lite wählen Unternehmen z. B. zwischen 50 und 1.000 Accounts und sortieren sie nach Branchen oder ähnlichen Merkmalen. Anschließend richten Sie Ihr ABM-Programm an den Bedürfnissen dieser Account-Segmente aus.
Noch etwas weiter gehen wir beim Programmatic ABM. Hier kommt es zu noch gröberen Segmentierungen: Damit bespielen Anbieter z. B. alle Unternehmen in Deutschland, die aus einer bestimmten Branche stammen.
Welches ABM für Sie Sinn ergibt, lässt sich nicht pauschal sagen. Am besten ist, wenn Sie sich bei dieser Schlüsselfrage mit dem Vertrieb abstimmen. So verhindern Sie, dass es später zu Reibungen kommt, weil Ihre Kolleg:innen aus dem Sales lieber einen anderen Ansatz verfolgen möchten.
Wie segmentieren Sie Ihre Accounts?
Die zweite Frage ist: An wen wenden Sie sich mit Ihrem ABM überhaupt? Für welche Ziel-Accounts lohnt sich der Aufwand?
Die Antwort fällt dem Marketing erfahrungsgemäß schwer. Das Branchenwissen ist im Marketing in der Regel nicht so groß wie in anderen Abteilungen. Gerade hier ist der Input vom Vertrieb eine große Hilfe: Ihre Verkäufer:innen wissen ziemlich genau, welche Unternehmen attraktiv sind.
Dieses Wissen sollten Sie bei der Segmentierung Ihrer Accounts nutzen. Andernfalls besteht auch hier die Gefahr, dass der Vertrieb sich im Nachhinein über Ihre Entscheidung ärgert – z. B., weil Sie wichtige Accounts versehentlich außen vor lassen oder sich auf Unternehmen konzentrieren, die aus Sales-Sicht nicht interessant genug sind.
Wann ist ein Account bereit für den Vertrieb?
Sobald Sie Ihre Ziel-Accounts definiert haben, stellt sich die Frage, wie Sie diese im Rahmen Ihres Programms bewerten. Wie beim Inbound Marketing verzeichnen wir im ABM jede Aktion, die ein Account im Zusammenhang mit unserem Programm tätigt, in einem individuellen Scoring-Profil. Für welche Aktionen es welche Punktzahlen (bzw. -abzüge) gibt und ab welchem Punktewert der Account an den Vertrieb übergeben wird (als Sales-Qualified Account; SQA), entscheiden Marketing und Vertrieb gemeinsam.
Im Grunde definieren Sie an dieser Stelle, ab wann ein Account Ihrem (mehr oder weniger) perfekten Kundenprofil entspricht. Daher sollte der Vertrieb hier definitiv mitreden. Dazu sollten Sie beim Account-Scoring nicht nur die Aktionen Ihrer Zielkunden bewerten, sondern auch deren firmografische Daten, z. B. deren Branche, Unternehmensgröße, Standort und Mitarbeiterzahl.
Gemeinsame Ziele
Um Marketing und Vertrieb für ABM auf die Strecke zu bringen, ist es darüber hinaus hilfreich, die Zielvorgaben beider Bereiche abzustimmen. Zwar verfolgen Marketing und Vertrieb grundsätzlich immer das gleiche Ziel – Umsatzsteigerungen durch die Konvertierung von Leads in Kunden. Allerdings betrachten beide Seiten den Sales-Funnel, den ein Kunde bis zum Verkaufsabschluss durchläuft, aus unterschiedlichen Perspektiven:
- Das Marketing fokussiert sich auf die obersten Ebenen des Verkaufstrichters. Seine Ziele betreffen in erster Linie die Zahl und Qualität der Leads, die es an den Vertrieb weitergibt.
- Der Vertrieb ist zwar ebenfalls an einer hohen Zahl an Leads interessiert. Entscheidend ist aus seiner Sicht allerdings deren Qualität.
Diese zwei Sichtweisen spiegeln sich in den meisten Unternehmen auch im Tagesgeschäft wider. Das Marketing ist oftmals nur daran interessiert, Leads solange zu bearbeiten, bis sie an den Vertrieb gehen. Was danach passiert, interessiert Marketer nur sekundär, da dieser Teil der Kundengewinnung nicht zu ihren Aufgaben gehört.
Der Vertrieb zeigt umgekehrt wenig Interesse an dem, was das Marketing bis zur Lead-Übergabe getan hat. Dadurch entgehen den Verkäufer:innen Informationen, die für einen erfolgreichen Abschluss hilfreich wären.
Dieses Dilemma lösen Sie, indem Sie Marketing und Vertrieb gemeinsame Ziele geben. Das fördert die Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen.
Zusammengefasst
ABM ist ein Gemeinschaftsprojekt von Marketing und Vertrieb. Daher sollten Sie bereits vor dem Start Ihres ABM-Programms dafür sorgen, dass beide Teams Ihre Arbeit auf einem soliden Fundament beginnen. Dafür müssen Sie
- den Vertrieb von den Vorzügen des Account-based Marketings überzeugen,
- Verantwortlichkeiten klären und Rollen zuweisen,
- einen organisatorischen Rahmen für Meetings und weitere Aktivitäten schaffen,
- strategische Fragen im Plenum beantworten und
- die Ziele beider Bereiche aufeinander abstimmen.